Herr Klee und Herr Feld | Roman
arbeitete in Houston, Arie Getter erfolgreicher Anwalt in Toronto, Danny Stern war bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Alfreds »Buddy« Leo Bialik lebte als Arzt in St. Louis. Milly Freiberger hieß Legovici, hatte zwei Kinder und saß in Washington, wo sie eine Agentur leitete. Juliette Lubinski war jetzt Frau Dr. Tisch aus Zürich. Alfred nahm sich vor, sie zu googeln und den Kontakt aufzunehmen. Es war aufregend, Menschen aus der Vergangenheit zu treffen. Es war so, als würde man sich selbst in einer anderen Zeit begegnen.
Perlmann hatte vor einigen Wochen ein Treffen mit ein paar alten Freunden organisiert. Der Abend war unterhaltsam. Die Freunde aus der Jugendzeit waren erfolgreiche Geschäftsleute geworden, hatten Kinder und Enkel. Die meisten lebten ein behagliches bürgerliches Leben, spielten Golf und ertrugen ihre dominanten jüdischen Frauen mit der Nachsicht, die aus einem langen Eheleben resultierte. Es sei denn, sie waren geschieden und hatten gojische Partnerinnen. In diesen Fällen erfuhr Alfred von Rosenkriegen, von nächtlichen obszönen Anrufen oder Lackschäden an Maseratis.
Alfred hatte erwartet, als Filmschauspieler im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Aber nach ein paar Minuten war es so, als sei er nie weg gewesen. Er gehörte gewissermaßen wieder zum Inventar. Die meisten kannten seine Filme nicht. Henry Reichmann sagte sogar voller Stolz, dass er nie ins Kino gehe. Er interessierte sich nur dafür, wie hoch die Gage war, die Alfred für einen Film bekam. Alfred log und nannte eine beachtliche Summe.
Wieso kriegst du so wenig? Dieser James Bond, dieser Craig oder wie er heißt, kriegt fünfzehn Millionen.
Siebzehn!, verbesserte ein anderer.
Das werde ich mir nicht mehr antun, sagte sich Alfred, als er nach Hause ging.
Seitdem Moritz Witwer war, wurde er für einige jüdische Damen attraktiv. Insbesondere für Norma Mizrahi, die selbst vor einem Jahr Witwe geworden war. Norma war Ende fünfzig, nicht unattraktiv, blond, lebhaft. Sie besaß ein kleines, edles Hotel im Westend, das »Le Petit Grand«. Die Paare Kleefeld und Mizrahi waren locker befreundet gewesen. Ab und zu war man sich im Café oder bei Veranstaltungen der Gemeinde begegnet, auch bei der WIZO , für die die umtriebige Norma unverdrossen die Werbetrommel schlug und wo Fanny und Moritz gern gesehene Spender gewesen waren.
Norma hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den trauernden Moritz aus seiner Lethargie zu holen und ihn wieder dem gesellschaftlichen Leben zuzuführen. Schließlich wusste sie selber, was es bedeutete, einen geliebten Menschen zu verlieren. Sie erschien hin und wieder unangemeldet beim Professor und holte ihn aus seiner »Höhle«, wie sie lachend bemerkte, damit er nicht »verstaubte«. Moritz war unfähig, sich gegen die gnadenlose Hilfsbereitschaft von Norma zu wehren. Zumal sie stets betonte, dass dies sicher auch im Sinne der verstorbenen Fanny, ihrer angeblich engsten Freundin, wäre. Sie schleppte Moritz zu Vorträgen, Konzerten und Wohltätigkeitsveranstaltungen und der ließ es, arglos wie er war, geschehen. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass einige Bekannte der Meinung sein könnten, dass Frau Mizrahi und Professor Kleefeld mehr verband als nur gesellschaftlicher Umgang. Auch Frau Stöcklein ließ durchblicken, dass sie über die enger werdende Freundschaft zu dieser Dame nicht erfreut war. Mit Alfreds Auftauchen veränderte sich die Lage und Norma hielt sich vorerst zurück. Sie rief ab und zu an, erzählte Neuigkeiten aus der Gemeinde und versuchte, auch Alfred einzubinden.
Einmal war es ihr gelungen, beide Brüder zu sich nach Hause einzuladen, und zufällig war ihre geschiedene Cousine Stella aus Tel Aviv anwesend, die Alfred anschwärmte und sich zwischendurch über das ach so teure und unkultivierte Leben in Israel echauffierte. Frankfurt sei durchaus eine Option, die sie sich für ihr weiteres Leben vorstellen könnte. Auch ein Partner wäre angenehm. Stella war auffallend an Alfreds ereignisreichem Leben interessiert, hörte ihm aufmerksam zu, lachte ausgiebig über seine Witze und berührte dabei immer wieder absichtlich unabsichtlich seine Hand.
Als Moritz und Alfred vor die Tür traten, nieselte es. Deshalb sorgten sich die Frauen um die Gesundheit ihrer Gäste und Norma bot an, sie mit dem Auto nach Hause zu bringen. Moritz und Alfred lehnten ab. Im Gegenteil, meinten sie, es wäre angenehm, in der frischen Nachtluft zu spazieren. Als sie dann durch den immer stärker
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