Herr Klee und Herr Feld | Roman
lassen. Oder waren es Altersflecken? Ansonsten konnte er mit seinem Aussehen zufrieden sein. Immerhin war er achtundsiebzig. Er fand, dass er aussah, wie ein emeritierter Professor aussehen sollte: freundliches Gesicht, ein Schnauzbart, lockiges weißes Haar. »Professor Einstein« hatte mal eine seiner Studentinnen zu ihm gesagt. Das schmeichelte ihm.
Das gemeinsame Badezimmer war eine Katastrophe! Als seine Frau noch lebte, war es halbwegs erträglich. Fanny schlief ohnehin morgens länger als er, sodass sie sich gut aus dem Weg gehen konnten. Außerdem hatte er sich im Lauf des Ehelebens an die Requisiten seiner Frau gewöhnt, die er zum überwiegenden Teil für verzichtbar ansah. Die vielen Cremes und Tuben, Puderdosen, die Parfums und Sprays, die diversen Pasten, die zahllosen Pinselchen, Bürstchen, Spängchen, Kämmchen, Klämmerchen, Gummibändchen, Pads, Q-Tips, Wimpernzangen und Pinzetten. Die Pillen, Dragees, Pastillen und Kapseln. Dazu Watte, Zahnseide, Bodylotions, Körpermilch, Shampoos, Deos und Gels ohne Ende. Dazwischen Mascaras und Stifte. Nicht zu reden von den Proben und Souvenirs aus Hotels. Auch an das Spülen, Föhnen, Gurgeln, Zupfen, Schaben, Schrubben, Rubbeln und Klatschen hatte er sich gewöhnt.
Nun aber, seit Alfred im Haus lebte, war alles anders. Sein Bruder konnte sich nicht daran halten, nur seine Seite und nur seine Handtücher zu benutzen. Niemals machte er das Waschbecken sauber, bevor er das Bad verließ, und so fanden sich überall Haare und weitere unappetitliche Hinterlassenschaften und verdarben Moritz die gute Morgenlaune. Dann noch das Gurgeln und Husten, das Nasehochziehen, das laute Niesen, entsetzlich.
Hinzu kam, dass auch Alfred merkwürdige Salben, Lotionen und Wässerchen hatte, die angeblich dazu dienen sollten, die unaufhaltsame Alterung aufzuhalten. Er zupfte sich sogar die Augenbrauen, was Moritz überhaupt nicht verstand. Auch einen batteriebetriebenen Rasierer besaß er, mit dem man Nasenhaare entfernen konnte, und einen speziellen Kurzhaarschneider, der zu unrasiertem Aussehen verhalf und ihm den Anschein von Boheme geben sollte. Boheme! Ein alter unrasierter Mann sah aus wie ein alter unrasierter Mann! Dann noch der antiquierte Duft von Acqua di Selva, den nur Alfred für unwiderstehlich hielt. Kurz, seine äußerliche Eitelkeit entsprach in keiner Weise seinem nachlässigen Umgang mit dem Badezimmer. Und mit seinem eigenen Zimmer ebenso, und mit der Wohnung insgesamt. Er ließ alles liegen und es war an der armen Frau Stöcklein, ihm ständig irgendetwas hinterherzutragen. Oft fanden sich im Salon noch am Morgen seine Schuhe und Socken, die er beim Fernsehen achtlos ausgezogen hatte. Den Trenchcoat pflegte er über den Stuhl im Flur zu werfen, obwohl sich unmittelbar daneben eine Garderobe mit Kleiderbügeln befand. Moritz hatte dafür kein Verständnis. Klar, als Schauspieler war es Alfred gewohnt, dass ihm Sachen hinterhergetragen wurden und andere auf seine Kleider achteten. Oder hing seine Schlamperei damit zusammen, dass es nicht sein eigenes Haus war, in dem er lebte, und er keinen ideellen Zugang dazu hatte und keine Achtsamkeit verspürte? Für Moritz war er ein Ignorant.
Alfred mit Hut, in einem exotischen Hausmantel, Moritz mit kippa, Strickjacke, Hemd und Krawatte saßen sich schweigend am Tisch gegenüber. Darauf standen zwei Schabbesleuchter mit brennenden Kerzen. Über die challe war ein Tuch gedeckt, blau mit einem silbernen Davidstern.
Moritz beendete die bracha:
… hamauzi lechem min ha’arez.
Den Ritus und die Gebete hielt er nicht korrekt ein, aber das merkte hier keiner. Nach dem Segensspruch wartete er, dass sein Bruder »omejn« sagte, aber der schaute bloß gelangweilt.
Alfred, mit seinem scharf geschnittenen Gesicht und der Habichtsnase, trug seinen schwarzen Hut, den »Schabbesdeckel«, wie er ihn nannte, wie ein ironisches Aperçu.
Moritz sagte nach einer Pause selbst:
Omejn.
Er nahm die challe, riss ein Stück ab, tat Salz drauf und reichte es seinem Bruder. Der ergriff das Brot, biss ein Stück ab und murmelte dabei:
Omejn, gut Schabbes, cheers!
Dann nahm er seinen Becher und trank einen Schluck Rotwein.
Moritz reagierte verärgert.
Warum wartest du nicht auf die broche?
Broche-schmoche! Bis dahin bin ich verdurstet!
Sein Bruder hob seinen Becher hoch und murmelte rasch den Segensspruch.
Dann trank auch er einen Schluck.
Er setzte sich und betätigte die Fußklingel.
Alfred sah an sich herunter und sagte
Weitere Kostenlose Bücher