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Herr Klee und Herr Feld | Roman

Herr Klee und Herr Feld | Roman

Titel: Herr Klee und Herr Feld | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Bergmann
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wurde, kümmerte sie sich aufopferungsvoll um sie, ging mit ihr zu den Ärzten und zur Chemotherapie und war schließlich auch an jenem schrecklichen Tag an ihrer Seite, als Fanny plötzlich starb. Das würde er nie vergessen. Und nach Fannys Tod war sie ihm eine große Hilfe. Während er verzweifelte, schier unfähig, seine Tage zu organisieren, war Frau Stöcklein an seiner Seite. Sie erledigte Behördengänge, kümmerte sich um Trauergäste und überließ ihn seinem Schmerz.
    Frau Stöcklein lehnte Alfred von Anbeginn ab. Obwohl er sich in den ersten Wochen bemühte, sie von seinem Charme und seinem einnehmenden Wesen zu überzeugen, war sie in der Vergangenheit zu sehr von Fanny gegen ihn beeinflusst worden. Irgendwann war es zu einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen den beiden gekommen. Alfred begann, gegen Frau Stöcklein zu stänkern, sie schlechtzumachen, an ihr herumzumäkeln und sie dermaßen überheblich zu behandeln, dass sie schließlich aufgab.
    Nun stand Moritz in der Einfahrt und machte sich Vorwürfe, dass er seinen Bruder nicht in die Schranken gewiesen und sich nicht eindeutiger zu Frau Stöcklein bekannt hatte. Sie spürte offenbar keinen Rückhalt mehr und hatte resigniert. Dieses Versäumnis machte ihn traurig. Heute war sie für immer gegangen. Die gute … wie hieß sie noch mal? Gerlinde. Ja. Genau. Gerlinde Stöcklein.
     
    Minuten später rief Norma an und Moritz machte den unverzeihlichen Fehler, vom Weggang der Haushälterin zu berichten. Nur mit Mühe konnte er die Freundin davon abhalten, sofort zu kommen, um den Haushalt zu übernehmen. Sie bot sogar an, bei Bedarf eines ihrer portugiesischen Zimmermädchen auszuleihen, aber Moritz bedankte sich brav: Sein Bruder sei gelernter Junggeselle und hätte bereits jetzt alles im Griff.
    Okay, sagte Norma, aber Moritz, wenn was ist …
    Versprochen, sagte er.
    Soll ich nicht doch …?
    Norma! Wir kommen wunderbar zurecht, wirklich. Mach’s gut.
    Übrigens, Stella schwärmt immer noch von Alfred. Sag ihm Grüße von ihr.
    Mach ich, sagte Moritz, tschüs, Norma.
    Ja, tschüs. Und melde dich, wenn du mich brauchst.
    Klar.
    Habt ihr genug zu essen?

[zurück]
    4
    Moritz saß im Wintergarten und sorgte sich. Er bekam zwar eine stattliche Pension und hatte sein Geld, so glaubte er, einigermaßen sicher hier und in den USA angelegt, aber was war heute noch sicher in Zeiten der Krise? Die Krise! Sie war überall. Im Fernsehen, im Internet, im Radio, auf jeder Seite der Zeitung. Und vor allem in den Köpfen! Hatten sich die normalen Bürger in der Vergangenheit kaum mit Wirtschaft beschäftigt, war nun jeder zum Experten geworden. In den zahllosen Talkshows wimmelte es von ihnen. Vor wenigen Jahren noch waren Hedgefonds, Derivate und Ratings abstrakte Begriffe gewesen, über die man nicht nachdachte. Es gab sie, so wie das Ozonloch, die Rüstungslobby, die Gesundheitskosten oder die Massentierhaltung. Alles war, so wurde dem Volk versichert, komplex, etwas für Fachleute. Moritz sah im Fernsehen Männer in teuren Anzügen und blau-weiß gestreiften Hemden mit weißen Kragen. Die trafen sich in Brüssel oder Frankfurt, verkündeten irgendwelche Prozente. Es wurden aus Millionen Milliarden. Jetzt mussten Schirme aufgespannt werden, denn es gerieten nicht nur Menschen auf die schiefe Bahn, sondern auch Banken und am Ende Staaten. Jetzt schlug die Stunde einer neuen, fiktiven Gewalt: der Terror der Märkte!
    Die Märkte, dachte Moritz. Sie waren wie unersättliche Drachen nach Jahren der Harmonie aus der Höhle gekommen und wüteten. Ein Staat nach dem anderen geriet in ihren verheerenden, kochenden Atem. In Nanosekunden machten sie gewaltige Umsätze an den Börsen, Maschinen entschieden jetzt über unser Schicksal. Wer oder was waren diese Märkte? Waren sie nicht unsere Brut? Hatten wir sie nicht an unserem Busen genährt und gehofft, sie zähmen zu können?
    Sie entzogen sich den Gesetzen und waren zutiefst unmoralisch. Die alten Fakultäten gab es nicht mehr. Sie waren miteinander verschmolzen. Wirtschaft und Philosophie, Finanzen und Psychologie, Marktwirtschaft und Ethik. Moritz nahm sich vor, den amorphen Zustand unserer Gesellschaft zu analysieren. Darüber war er schließlich eingenickt …
    … als er durch ein Klappern aufgeschreckt wurde. Alfred kam mit dem Teewagen durch die Tür.
    Teatime, Sir, sagte er launig.
    Moritz reckte sich.
    Hast du auch Kaffee gemacht?
    Kaffee? Du glaubst doch nicht, dass ich auch noch Kaffee koche? Du

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