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Herr Klee und Herr Feld | Roman

Herr Klee und Herr Feld | Roman

Titel: Herr Klee und Herr Feld | Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Bergmann
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Autowerkstatt zu begeben.
     
    Die Journalistin arbeitete für die TAZ und hatte im Salon ihr Aufnahmegerät aufgebaut, das nur aus einem kleinen, klobigen Mikrofon bestand. Die Frau war etwa dreißig, eine strenge, blasse, schmallippige Person. Bevor sie mit ihren Fragen begann, war Zamira erschienen und hatte ihr ein Wasser und Moritz einen Kaffee serviert. Dazu Shortbread. Die Frau stellte ihr Gerät an.
    Darf ich zuerst einmal auf ein aktuelles Thema kommen, zur Beschneidung von Jungen?
    Dachte ich mir, sagte Moritz, meine Antwort ist: Ich bin dafür.
    Sie sind also für die Kinderquälerei, sagte die Frau. Moritz hatte nichts anderes erwartet.
    Ich kann Ihnen viele Beispiele nennen, wo es besser gewesen wäre, Eltern hätten früh operativ eingreifen lassen. Wir hatten einen Mitschüler mit abstehenden Ohren, der stets gehänselt wurde.
    Aber die Beschneidung ist barbarisch und traumatisiert die Kinder, ging sie dazwischen.
    Mag sein, dass es nicht gut ist, Buben mit neun Jahren coram publico zu beschneiden, wie es bei Muslimen üblich ist. Nicht nur wegen der Schmerzen, sondern in erster Linie wegen der Zurschaustellung. Aber bei uns Juden werden Knaben grundsätzlich mit acht Tagen beschnitten. Ein Zeitpunkt, an dem man, meiner Meinung nach, nicht traumatisiert werden kann und sich später nicht an die Schmerzen erinnert. Warum regt man sich nicht über die Verweigerung auf, Kinder impfen zu lassen? Oder dass Eltern Bluttransfusionen ablehnen und ihre Kinder damit sogar in Lebensgefahr bringen? Viele machen den Kleinen Tattoos oder stechen die Ohren durch. Wo bleibt da der Aufschrei der Kinderärzte?
    Verschmitzt fügte er an:
    Und ist Ihnen aufgefallen, dass ich bisher nicht ein einziges Mal das Wort Gott oder Religion erwähnt habe?
    Professor Kleefeld, in Ihrem aktuellen Buch »Das Toleranz-Gen« beziehen Sie eindeutig Position für die Religion. Die setzt unbedingten Glauben voraus. Ist dieser Glaube nun nicht infrage gestellt, angesichts der neusten Entwicklungen in der Teilchenphysik? Anders gefragt: Ist der Beweis einer Urknalltheorie nicht das Ende des Glaubens an einen Gott?
    Mitnichten, sagte Moritz. Die Tatsache, dass alle Existenz im Universum, ja das Universum selbst aus einem explodierenden Nukleus entstand, bedeutet ja nicht, dass dahinter kein göttlicher Plan steht.
    Aber wenn Gott all diese Möglichkeiten hatte, warum hat es dann nach dem Urknall Milliarden Jahre gedauert, bis die Erde und damit auch die Menschen entstanden sind?
    Gegenfrage. Was, wenn für Gott diese Milliarden Jahre nur eine Minute wären?
    Sie lächelte.
    Sie drücken sich vor einer Antwort.
    Stellen Sie sich vor, dass Gott nur einen Anstoß gibt und dann die Evolution ihren Lauf nimmt. Dass er nur das erste Dominosteinchen anstößt und dann den Verlauf nicht mehr beeinflusst.
    Aber das würde ja das Beten überflüssig machen, wenn er unser Schicksal nicht mehr beeinflussen könnte, oder?
    Sehen Sie, wir werden gezeugt, indem Samen und Ei sich finden. Das ist unser individueller Urknall. Nach neun Monaten werden wir geboren. Sobald die Nabelschnur durchtrennt ist, sind wir ein eigenes Wesen. Wir werden in den ersten Jahren erzogen, angeleitet, aber irgendwann beginnt der Einfluss unserer Schöpfer, nämlich der Eltern, zurückzuweichen. Wir sind nun Herr unseres Handelns. Wir können unsere Eltern um Rat fragen, wir können abstrahieren, was sie uns geraten hätten, wenn sie nicht mehr am Leben sind. Wir beten also in gewisser Weise zu ihnen. Genauso verhält es sich mit Gott. Er hat uns und alles geschaffen, aber mehr kann er nicht tun. Sonst gäbe es keine Kriege und andere unmoralische Taten.
    Sehr geschickt, Professor, wie Sie Gott aus der Schusslinie nehmen. Wenn dem so wäre, warum sollte man dann Angst haben zu sündigen, wenn diese Sünden nicht sanktioniert würden?
    Sie irren. Schauen Sie sich um. Die Menschen haben keine Angst vor Gottes Strafe. Sie haben im Lauf der Jahrtausende festgestellt, dass es sich gut mit Sünden leben lässt. Denken Sie an die Inquisition, den Sklavenhandel, den Holocaust, Ruanda, Nine/Eleven oder das, was heute im Namen Gottes alles so angestellt wird.
    Dann brauchen wir ja gar keinen Gott mehr, oder?
    Wir sollten uns vorab auf einen Begriff für Gott einigen. Für viele ist Gott heute kein abstraktes Wesen, sondern der Geist, der in allem steckt. Für das archaische Judentum, die Urkirche und auch den Islam war Gott ein weiser alter Herr, der irgendwo saß und aufpasste, dass alles

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