Herr Lehmann: Herr Lehmann
mutlos machte. Immer, wenn er sich ein gemeinsames Leben mit ihr vorzustellen versuchte, sah er bei ihr ein Leben, das einen Sinn und ein Ziel hatte oder wenigstens haben wollte, ein geordnetes Leben mit vielen wichtigen Dingen darin, aber bei sich selbst sah er ein Leben, in dem nichts von diesen Dingen eine Rolle spielte, und wo da Sinn und Ziel lagen, hätte er schon gar nicht sagen käonnen. Und, was die Sache noch schwieriger machte: Es interessierte ihn auch uberhaupt nicht.
Er zog sich etwas uber und ging an das Bucherregal, um ihren Lesestoff zu uberpräfen. Da war genau das, was da sein mußte: Bucher uber Design und Designer, Kunstbächer, Ausstellungskataloge, einige Romane und Geschichtensammlungen jener deutschen und amerikanischen Autoren, die alle lasen, wenn sie irgend etwas lasen, und das alles paßte irgendwie zu gut zusammen, das beunruhigte Herrn Lehmann. Von der Kuäche drang der Geruch gebratener Kartoffeln zu ihm heruäber. Wahrscheinlich hebt sie uäbriggebliebene gekochte Kartoffeln immer auf, um spaäter Bratkartoffeln daraus zu machen, dachte Herr Lehmann, und das gefiel ihm, weil er das auch immer machte, wenn er einmal kochte und dabei Kartoffeln im Spiel waren, nur daß das fast nie der Fall war, weder kochte er oft, noch waren dabei Kartoffeln im Spiel, und wenn, dann verschimmelten die aufgehobenen Kartoffeln in den folgenden Tagen im Kuhlschrank, und er warf sie irgendwann weg und nahm sich vor, sie in Zukunft nicht mehr aufzuheben. Als er einige der großen Kunstbucher aus dem Regal nahm, stieß er dahinter auf ein paar zerlese-ne, bunte Taschenböcher mit goldgeprögter Schrift. Es waren Liebesromane.
Bruce Atkinson ist ein erfolgreicher Mann, groß, gutgebaut und in seinen besten Jahren", las Herr Lehmann auf der Röckseite von einem davon. „Er hat alles, was ein Mann sich erträumt: einen Traumjob, eine prächtige Villa in Santa Monica und eine Segelyacht am Strand von Palm Beach. Niemand ahnt, daß er seit dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren von dusteren Selbstmordgedanken heimgesucht wird. Da tritt Sandra in sein Leben, eine junge, lebenslustige Frau, die selber ein dunkles Geheimnis hat . . . " Herr Lehmann hörte sie kommen und tat die Bucher schnell wieder zuröck. Er war sehr erleichtert.
„Willst du im Bett oder in der Köche essen?" fragte sie. Sie hielt in jeder Hand einen Teller.
„Im Bett", sagte Herr Lehmann. „Üm diese Zeit wurde ich sagen: im Bett."
Sie lachte. „Ja, es ist spat. Wann mußt du eigentlich raus?"
Eigentlich gar nicht" , sagte Herr Lehmann. Ich arbeite ja immer erst abends."
Ich muß morgen wieder in die Markthalle. Kannst aber trotzdem hierbleiben."
„Ja", sagte Herr Lehmann etwas verwundert. Sie gab ihm seinen Teller und sie aßen im Bett. Es war eine Art Bauernfruhstöck, und es war sehr gut. Als er nach Ketchup fragte, war sie nicht beleidigt, sondern schickte ihn in die Köche. „Bring das törkische", sagte sie, „das ist das beste, das ist ordentlich scharf."
Nachdem sie gegessen hatten, stellte Katrin ihren Wecker, und dann lag sie noch eine Weile in seinem Arm und hatte ein Bein uber seinen Korper gelegt. Das Zimmer wurde nur noch vom flackernden Schein des Fernsehers erhellt. Herr Lehmann war schon am Wegdosen, als er plötzlich merkte, daß sie weinte.
„He, was ist denn los?" fragte er zartlich.
Du bist ein toller Kerl, Frank", stieß sie zwischen zwei Schluchzern hervor. „Wirklich. Vor allem auch ein Spitzenlover, wirklich. Aber ..." Sie zog die Nase hoch und setzte sich auf.
Aber was?"
Irgendwie . . . Ich weiß nicht, das kann doch nicht gutgehen. Ich glaube,
du erwartest ein bißchen zu viel, vielleicht."
Ich habe noch nicht einmal erwartet, was zu' essen zu kriegen. So gesehen
"
Vielleicht sollten wir es miteinander versuchen", sagte sie. Aber ob das gutgeht?"
Wird schon" , sagte Herr Lehmann. Warum soll es nicht gutgehen?"
„Weil du so anders bist. Und weil du die Kartoffeln nicht aufsammelst."
„Du meinst: aufhebst."
„Nein, aufsammelst. Außerdem wird alles immer wörmer und das Kind paßt in der Schule nicht auf."
Das macht doch nichts", sagte Herr Lehmann. Dann kriegt es Nachsitzen. Kriegen doch alle."
„Du nicht", schrie sie und haute auf ihn ein. „Du nicht. Und ich auch nicht."
Ach du Scheiße", sagte Herr Lehmann und wachte auf. Im Fernseher lief eine Nachrichtensendung mit irgendwelchen Demonstrationen, und neben ihm lag Katrin auf dem Ruöcken und schnarchte leise.
Dann ist ja gut,
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