Herr Lehmann: Herr Lehmann
suchen, okay?"
Klar. Was ist eigentlich jetzt mit dir und Katrin?"
„Schwer zu sagen."
„Ich glaube, die ist nichts fur dich."
„Um so schöner, daß du's mal sagst."
„Jetzt hau mal ab und such Karl."
Bis zum Savoy war es ein langer Fußmarsch, aber mit der U-Bahn war es noch bloder und Taxi fuhr Herr Lehmann nicht gern. Außerdem war es nicht unwahrscheinlich, daß Karl irgendwo in den Straßen herumstrolchte und Herr Lehmann ihn irgendwo aufgabelte, wenn er zu Fuß unterwegs war. Er ging uber den Lausitzer Platz, den Spreewaldplatz, die Ohlauer Straße und dann hinter dem Kanal schröag rechts durch ein Stuöckchen Neuköolln bis zum Kottbusser Damm, den uberquerte er und ging in die Schonleinstraße, wo er, da er schon einmal hier war, noch schnell das Schlawinchen uberprufte, allerdings ohne Erfolg, und das war auch besser so, denn wenn er schon im Schlawinchen ist, dachte Herr Lehmann, dann steht es ganz schlecht um ihn. Danach mußte er nur noch die Dieffenbachstraße ganz runter bis zur Grimmstraße, und dort an der Ecke war das Savoy.
Der lange Spaziergang tat ihm gut, er gab ihm viel Zeit zum Nachdenken, und je mehr er uber alles nachdachte, desto weniger gefiel es ihm. Es ist nicht mehr wie fruöher, dachte er, es ist nicht mehr in Ordnung, es ist in allem der Wurm drin, dachte er, aber er fand es schwer, die Sache auf den Punkt zu bringen. Daß es nicht so wie fruöher ist, ist kein gutes Argument, hielt er sich selbst vor, so reden Leute, die bald dreißig werden, das ist Quatsch, es kommt nicht darauf an, daß es wie fruöher ist, dachte er, es kommt darauf an, daß es gut ist. Aber es ist der Wurm drin, dachte er, und das Röatsel um Karl schien ihm symptomatisch fur die ganze Sache zu sein, was immer die ganze Sache war. Irgendwas funktioniert nicht mehr, dachte er, wie soll Karl da noch funktionieren, aber dann verwarf er diesen Gedanken gleich wieder als zu billig, so einfach sollte man es sich nicht machen, dachte er. Daraufhin versuchte er, wenigstens die verschiedenen Punkte zusammenzubringen, an denen es uberall hakte, um so eine Erklörung fur sein allgemein schlechtes Gefuhl zu haben. So viele Dinge liefen schief in letzter Zeit, und er war sich nicht sicher, ob die Geschichte mit Katrin, so wie sie sich entwickelte, ein Lichtblick war, der den anderen Kram vergessen machen konnte. Alles ist halb, dachte er, die Prögeleien, Detlev, Luke Skywalker, der Scheiß von Erwin, Kristall-Rainer, die Kunst von Karl, die Ausstellung in Charlottenburg, das geplante Design-Studium von Katrin, die Hauptstadt der DDR, die auf seinen Besuch verzichtete, seine Arbeit im Einfall, das Publikum dort, da ist irgendwie das Feuer raus, dachte er und gruöbelte den Rest des Weges daruöber nach, ob tatsöchlich alles anders war oder ob es ihm nur so erschien, weil er selbst sich veraöndert hatte. Wieso aber, dachte er, sollte ich mich veraöndert haben, ich wollte mich ja gar nicht verandern, dachte er, und dann war er in Gedanken wieder bei Karl, der sich auf jeden Fall irgendwie veröandert hatte, der in letzter Zeit etwas seltsam war und neulich auch so bitter, was gar nicht zu ihm paßte, denn Karl war immer die sichere Bank gewesen, auf die man sich verlassen konnte, wo Karl war, war der Spaß gewesen, und Spaß hatten sie immer gehabt, und solange man den Spaß hat, dachte Herr Lehmann, ist alles gut. Vielleicht ist es umgekehrt, dachte er, vielleicht ist es nicht so, daß Karl nicht mehr funktioniert, weil alles andere nicht mehr funktioniert, sondern daß alles andere nicht mehr funktioniert, weil Karl nicht mehr funktioniert, aber auch diesen Gedanken verwarf er als zu billig, so einfach ist das nicht, dachte er, so lauft das nicht.
Als er im Savoy ankam, war er nicht viel kluger als zuvor, aber wenigstens wußte er jetzt, daß alles nicht stimmte, daß es nicht nur ein bißchen Kleinkram war oder eine Anhaöufung ungluöcklicher Zufaölle, die ihn so nervten, und das beruhigte ihn irgendwie. Wenn alles nicht stimmt, dachte er, als er das Savoy betrat, dann hat man mehr Möglichkeiten.
Hinter dem Tresen stand eine Frau, und Herr Lehmann glaubte sich zu erinnern, daß sie es war, die Karl neulich uber den Kopf gestreichelt hatte. Jetzt, bei Tageslicht, sah sie aölter aus, als Herr Lehmann damals gedacht hatte, er schötzte sie auf 35 oder 40, und er erinnerte sich, daß Karl immer schon eine Schwöche fur Frauen gehabt hatte, die alter waren als er selbst. Nimm nie die jungen Dinger", hatte er
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