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Herr Merse bricht auf

Herr Merse bricht auf

Titel: Herr Merse bricht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Nohr
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Woher wusste Johannes von dem Traum? » Das war… nicht ich… ich kann… ich kann Stopp sagen…« Johannes schwieg.
    Stopp, dachte Herr Merse wütend und unsicher und drehte sich von der Flügelecke weg. Es war schließlich Ulrichs Orakel. Ulrich sandte ihm eine Hilfe. Und so eine Hilfe hätte ich schon früher gebraucht, dachte er plötzlich. Wie oft hatte er früher » Aufhören!« geschrien, wenn Barbara ihn durchkitzelte. Ihm dunkle Unheimlichkeiten zuraunte im Bett. Sie hatte ihn nicht nur gekitzelt. Auch an seinem Schwanz gezogen hatte sie. Ja. Und manchmal hatte er es genossen. Er errötet bei der Erinnerung daran. Aber immer hatte sie bestimmt! Nie durfte er sie berühren. Nur sie ihn! Sie war dann die Krankenschwester, die alles begutachtete. Einem imaginären Doktor zeigte. Den Schwanz mit dem grünen Schullineal maß, Länge und Durchmesser notierte. Ihn verzierte. Mit Geschenkbändern. Auch mal fester zuzog, dass er schrie. Sein » Stopp!« prallte an ihr ab. Lief er zum Vater, war er eine Heulsuse; lief er zur Mutter, bekam er die Schuld. Was wirklich vorging, konnte er niemandem sagen. In der Pubertät hatte Barbara seine Pickel ausgedrückt. » Wie siehst du denn aus? So kommst du an keine Frau.« Dann drückte und fummelte sie an ihm herum. Im Gesicht, am Rücken. Am Rücken hatte er es gemocht, da er sie dann nicht sah und sich etwas Schönes vorstellte. Aber dann bekam er Erektionen, die sie natürlich nicht übersah. » Schau, schau, des Knaben Wunderhorn«, raunte sie dicht an seinem Ohr, » zeig mal.«
    » Stopp!«, rief Herr Merse laut. » Kein Abdriften!« Ha, er wollte zu Frau Luner, zur Hauptfrage seines Lebens, und jetzt kam ihm Barbara dazwischen. Mit Erinnerungen! Mit Oskar! Er stampfte auf. Aber er war nicht mehr der kleine Ingo. Stierhaft würde er den beiden entgegentreten. Mit einem unüberhörbar geschnaubten » Stopp!«. Das war das Orakel. Wenn er Barbara stoppte, konnte er zu Frau Luner. Es war eine Prüfung. » Dann wird sie mich annehmen, Johannes!«, rief er. Gut, dass der ihn an das Wichtige erinnert hatte. Er schaute auf die Uhr. Acht. Ob er schon bei Barbara anrufen konnte? Er hörte noch einmal die Mailbox ab und fand die Ansage dringlich genug für einen frühen Anruf.
    Als das Wort » Rufaufbau« auf dem Display erschien, merkte er, dass er sich nicht überlegt hatte, was er sagen wollte. Er starrte wie gebannt auf die Buchstaben. Es war zu spät, seine Nummer würde schon bei ihr erschienen sein, also ließ er es klingeln. Zitternd vor Spannung hörte er den Ruftönen zu, aber Barbara nahm nicht ab. Ihre Mailbox sprang an. Unter Höchstdruck sagte Herr Merse: » Hallo, Barbara. Hier ist Ingo. Das tut mir ja leid mit Oskar. Äh… wirklich sehr leid. Und auch, dass ihr die Reise abbrechen musstet. Zu schade. Aber… äh… es wird schon wieder…, sicher. Ich muss dir allerdings sagen, dass ich jetzt hier aus der Wohnung nicht rausgehe. Nicht rausgehen kann. Auf gar keinen Fall. Ich erkläre es dir mündlich. Bitte überlege, wo Oskar sich sonst noch erholen kann. Ihr habt es doch so schön im Garten! Also nicht hier. Nicht hier. Du kannst mich jetzt über Handy erreichen. Jederzeit, ich habe es in der Hand. Dann beraten wir. Tschüs und alles Gute!«
    Herr Merse schwitzte, als er auflegte. Sein Herz pochte schnell, er atmete flach, er musste sich setzen. Mit selbstkritischer Lupe fiel er über das Gesagte her. Er hatte nur Barbara angesprochen, Oskar nicht genügend bedauert und nur an sich gedacht. » … dass ich hier nicht rausgehe«, klang trotzig-kindlich. Klein Ingo hat den Bock Bock Bock, da hol’n wir gleich den Stock Stock Stock. Besser hätte er konkrete und hilfreiche Vorschläge gemacht. Falsch und egoistisch klang und war: » Ihr habt es doch so schön im Garten…«. Garten ist Garten, Sylt ist Sylt. Und wie lächerlich, ihr zu sagen, er habe das Handy in der Hand, mein Gott.
    Herr Merse spürte seine weichen Knie. Noch nie war er Barbara mit Erfolg entgegengetreten. » Wie war ich?«, fragte er Johannes mit unsicherer Stimme. » Gut. Höflich, aber bestimmt. Dringlich in der Stimme. Sehr gut.« » Nicht unverschämt? Beleidigend? Egoistisch? Lächerlich?« Johannes’ blaue Augen leuchteten hell aus der Ecke. » Nein, nichts davon. Völlig angemessen. Selbstbehauptend.«
    Das tat gut. » Völlig angemessen.« Wie ruhig und sicher das klang. Herr Merse atmete auf. Trotzdem wandte er sich zusätzlich an Ulrich. Sicherheitshalber. » Ulrich, was meinst

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