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Herr Merse bricht auf

Herr Merse bricht auf

Titel: Herr Merse bricht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Nohr
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Gesicht. Plötzlich sanken die Augenlider herab, so dass nur noch ein weißer Schlitz zu sehen war, und der Stier ejakulierte in hohem Bogen nach hinten gegen den verglasten Bücherschrank. Herr Merse lachte laut, Joel riss staunend den Mund auf. Barbara und die Mutter verbündeten sich nach einer Sekunde völliger Erstarrung zu einer siamesischen Putzeinheit und begannen ohne Zögern den Samen, der weißlich das Vitrinenglas hinunterlief, mit schnell herbeigeschafften Tüchern und Ajax Fensterklar wegzuwischen. Herrn Merses Vater trat ein und warf fragende Blicke zwischen dem lachenden Herrn Merse, dem gaffenden Joel und den putzenden Frauen hin und her. Dagmar sah zu dem Vater hinüber, klatschte in die Hände und deklamierte wiehernd: » Nur der Stier mit seinem Schwanz überzeugt uns wirklich ganz!«
    Herr Merse war von seinem lauten Traumlachen aufgewacht. Es dauerte etwas, bis er sich in Raum : Barbaras Sylter Wohnung, Zeit: siebter Ferientag , sich selbst: Hornist – außerdem abgeschobener Bruder, geschiedener und frisch verliebter Mann mit ein paar Eigenschaften, verhinderter Vater, vielleicht erwünschter Ersatzvater– wieder eingefunden hatte. Er freute sich. Sein zweiter Traum! Vom Schaftier zum Prachtstier! Das war ein Aufstieg. Immer wieder sah er das Ejakulat durch die Wohnung fliegen. Herrlich! Der Stier hatte es denen gezeigt! Das war mal ein sichtbarer, nicht ins Dunkel der Frau abgesaugter Samen! »Nur der Stier mit seinem Schwanz überzeugt uns wirklich ganz!« Er sprach den Satz laut aus. Dagmar hatte ins Schwarze getroffen. Und die Bewunderung in ihrer Stimme! Das hektische Gewische von Barbara und Mutter! Ha! Wie sie den Schlieren auf der Büchervitrine zu Leibe gerückt waren!
    Herr Merse reckte und streckte sich kraftvoll, aufgebaut von der Vitalität seines Traumstiers, der die ganze Familie vorführte. Dem kleinen ängstlichen Joel zeigte, was eine Harke ist.
    Er setzte sich im Bett auf. Sich aufführen wie ein Stier. Seine Schmieraktion in Dagmars Schlafzimmer war dagegen das reine Kinderstück gewesen. Er seufzte. Schlieren und Schmieren. Dagmar hatte ihn manchmal angeschaut wie eine Schaufensterscheibe, hinter der es Interessantes zu sehen gab. Er war nichts als eine Scheibe gewesen für sie. Vitrinenscheibe. Bei der Erinnerung ballte er unwillkürlich die Fäuste. Nie hatte er sich dafür gerächt! Er sah Barbara mit dem Fensterklar-Behälter vor sich. Ajax. Das wäre ein guter Name für den Stier. Ein Heldenname.
    Mit erhobenen Armen stellte sich Herr Merse ans Fenster, die Handflächen am Glas. Rache an Dagmar! Die Rache eines Stiers! Flötenkonzert, Dagmar in vollem Solistenschwung in einem roten, rückenfreien Kleid. Er im Orchester dahinter. Einfach aufstehen. Ein paar Schritte aus der Horngruppe vortreten. Hose auf. Schwanz raus. Zielen. Zwischen die Schulterblätter. Dann seine Samenschleuder. Dagmar würde kicksen, dann wie aufgezogen weiterspielen. Davon war er überzeugt. Dagmars Dirigentenfreund würde der Taktstock in der Hand gefrieren, er würde seinen ersten Hornisten aus geweiteten Augen anstieren. Dieser Hänfling, der sich mit seinem Blüthner-Flügel in Dagmar und Ingo Merses Wohnung ausgebreitet hatte. But the show must go on, nicht, Dagmar? Nicht, Andreas? Ha! Rache! Samensolo! Und sie kann nichts tun! Nichts sagen! » Nur der Schwan mit seinem Schwanz überzeugt uns wirklich ganz.« Sein alter Name hätte noch besser zu dem Traumspruch gepasst, den vielleicht seine Hornkollegen hinterher in der Kantine intoniert hätten, Ellenbogen stoßend, die Hände zu Tröten geformt, seine Kollegen, die mitbekommen hatten, wie ihm, Ingo Merse, die Hörner an der Stirn wuchsen, für jeden sichtbar, der zwischen Dagmar und Andreas hin- und herschaute. Nur für ihn selbst nicht. Höckerschwan. Wie er zu schnell ausgezogen war, so hatte er auch seinen Namen zu schnell aufgegeben. Zum ersten Mal ärgerte er sich darüber. Jetzt klebte Dagmars blöder Zwei-e-name, dieser breite, urdeutsche Merse-Name an ihm. Und den konnte er nicht abschütteln.
    Seine Handflächen rutschten langsam an der Scheibe herunter. Seine Wut war unter der Rachephantasie verraucht. Ernüchtert mixte er sein Müsli und fand sich und seine Gedanken abstoßend. Wie hatte so eine Phantasie überhaupt von ihm Besitz ergreifen können? Wie kam es zu solchen Träumen? Eklig! Er war nur noch traurig und verspürte keinerlei Lust, Johannes von dem Traum und Dagmars Spruch zu erzählen. Was war das überhaupt für

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