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Herr Merse bricht auf

Herr Merse bricht auf

Titel: Herr Merse bricht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Nohr
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Merses Traumstier besser aufgehoben als auf Karls Elefantenrüssel. Der Elefant war ein guter Freund, Ajax ein liebender Partner.
    Unter diesen Klärungen kam Herr Merse zur Ruhe. Er schaute auf den leeren Sportplatz und zog trocken Bilanz: Das Wichtigste in seinem neuen Leben war Frau Luner mit ihren beiden Kindern. Bisher war nichts weiter geschehen, als dass Frau Luner ihm freundlich gedankt hatte für seine Fürsorge. Ob sie ihn mehr als ein bisschen sympathisch fand, wusste er nicht. Sie hatte ihm ihr Herz ausgeschüttet, weil sie ganz aktuell belastet war, und ihn getröstet, weil auch er ganz aktuell belastet war. Und das war’s. Nicht mehr, nicht weniger. Aber nun schob sich Barbara zwischen sie. Gläsern.
    Er straffte sich. Johannes betrat den Raum; er war zurück vom Morgenspaziergang, setzte sich ans Klavier und bemerkte im Vorbeigehen: » Bist ja auch früh auf.« Es klang anerkennend, und Herr Merse unterdrückte den Impuls, Johannes seine neuesten Erkenntnisse vorzutragen. Der Stiertraum eignete sich überhaupt besser für nächtliche Gespräche.
    * * *
    Herr Merse packte den Tag bei den Hörnern. Er joggte und schwamm. Durchpflügte die Wellen. Es war Ebbe. Das störte ihn nicht mehr. Beim Bäcker war er einer der Ersten. Er kaufte sich Kraftbrötchen. Von Frau Luner nichts zu sehen. Auf dem Nachhauseweg machte er unbefangen einen Abstecher durch den Lerchenweg. Alles still dort vor der Strandmöwe.
    Nach dem Frühstück fiel sein Blick auf die Pillenschachtel. Er kam ins Schwanken. Als Stier brauchte er nichts Anschiebendes mehr. Doch würden seine Kräfte gegen Barbara nicht zu früh erlahmen? Würde er durchhalten? Der Selbstzweifel ließ ihn wieder auf Schafgröße schrumpfen. Er entschied sich, das Buchorakel zu befragen. Er brauchte intellektuellere Auskünfte, als ein Stier sie zu geben vermochte. Er würde heute ganz konkrete Fragen an das Buch stellen, um nicht wie ein Ochs vorm Scheunentor zu stehen. Sondern als Stier.
    Herr Merse zog das Buch unter Dagmars Tagebuch hervor und legte dieses kurz entschlossen in eine Schublade. Außer Sicht damit. Für einen Moment erwog er, die Orakelfragen aufzuschreiben, aber verwarf den Gedanken. Die Zettel hatten ihm im Strandkorb gar nichts genützt. Und so viele Fragen waren ja nicht zu klären. Eigentlich nur eine: Sollte er Frau Luner sein Herz eröffnen? Das war die alles entscheidende, die Hauptfrage, und dazu brauchte er Hilfe von Ulrich, den er als frauenerfahren einschätzte. Auch wenn er– warum bloß?– von Musil als » Mann ohne Eigenschaften« bezeichnet wurde. Vielleicht zeigte der kluge Ulrich Frauen gegenüber seine Eigenschaften nicht, da sie ja Anlässe für Ablehnungen boten. Gerade darin könnte seine Frauenkennerschaft bestehen, dass er eine umsichtige Camouflage mit seiner tatsächlichen Eigenschaftsfülle betrieb. Das war ohne Lesen nicht zu klären. Aber dazu hatte er keine Zeit. Noch etwas? Er überlegte. Über die Hauptfrage hinaus wünschte Herr Merse sich von Ulrich nur noch einen Tipp: Sollte er heute Tablettenhilfe in Anspruch nehmen oder alles allein wagen? Haupt- und Nebenfrage also.
    Er nahm mit ungewohnter Entschlossenheit das Buch in beide Hände und ließ mit dem linken Daumen die vielen Dünndruckseiten vom hinteren Buchdeckel aus nach vorne durchrauschen. Über den angenehmen Fühleindruck vergaß er, an irgendeiner Stelle anzuhalten, und war unversehens am vorderen Buchdeckel angelangt. So schnell. Sollte das etwa das Orakel sein? Er hatte vergessen » Stopp« zu sagen. So ähnlich wie » Hör auf«. Das war es vielleicht schon. Die Botschaft war: zu Barbara » Stopp« sagen. » Stopp! Nicht kommen.« Er hatte schließlich ihre Wohnung gemietet. Mieter konnte man nicht einfach raussetzen. Das war schon rein rechtlich gar nicht möglich! Ha. So einfach war es. Danke, Ulrich!
    Herr Merse setzte sich erfreut, als ihn Johannes’ Stimme erreichte: » Was hat das mit der Hauptfrage zu tun?« Verwirrt sah er dem Freund ins Gesicht, der seine Augen schon wieder auf der imaginären Tastatur hatte und leise Töne anschlug. Herr Merse wurde ärgerlich. » Mit Frau Luner hat es gar nichts zu tun. Die sagt › Stopp‹, wenn sie will.« Er dachte an ihr Schweigen. » Du hast nicht gestoppt!«, erwiderte Johannes hartnäckig. Herr Merse spürte eine untergründige Angst. Worauf wollte er hinaus? Meinte er das Platzen? » Doch, doch, hab ich«, haspelte er. » Heute Nacht!«, setzte Johannes nach. Herr Merse wurde flammend rot.

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