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Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
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aufgeregter Schreckstarre. Vielleicht ist Carsten ja sogar heute hier? Pauli und Max dagegen hopsen neugierig durch die Flügeltür in den Gastraum.
    »Mutti, komm mal rein, hier ist schön drin. Wie im Schloss von Dornröschen!«, ruft mein armes Kind, das so ein Restaurant mit jeweils einer Rose auf dem Tisch noch nie gesehen hat. Ich blicke durch den Türspalt. Die Einrichtung des Gastraumes mit weiß eingedeckten Tischen, geschmackvollen Raumteilern und edlen Stores vor den Fenstern wirkt fast so nobel wie die Restaurants im Palast der Republik in Berlin. Der im Stechschritt auf die Flügeltür zueilende Kellner im akkurat sitzenden braunen Anzug und mit weinroter Fliege am weißen Hemdkragen wirkt wie Oberstleutnant Patzig in Gardeuniform. So sieht Carsten auf keinen Fall aus, denke ich, so klein und verbissen.
    Herr Oberfliege scheucht die Kinder mit einem gequälten Lächeln zu uns zurück, begibt sich hinter das direkt neben uns aufgestellte Pult mit Reservierungsbuch und betrachtet unsere kleine Reisegruppe nach einem kurzen »Ja, bitte!« abschätzend von oben bis unten. Ich entnehme seiner Mimik eine gewisse Geringschätzung beim Anblick unserer legeren Kleidung. Ich trage eine von Jonny Hills Frau abgestaubte, hellblaue Satinbluse mit riesigen Schulterpolstern, die der Sänger von »Ruf Teddybär 1–4«, neben vielen anderen Klamotten, die Betty und ich schwesterlich teilten, zu einem gemeinsamen Auftritt im Varieté mobil mitgebracht und uns geschenkt hatte. Ich habe die Bluse bis zum obersten Knopf geschlossen und in die Stonewashed-Jeans mit weißem Nietengürtel gestopft. Rudi und Gisi sind ausschließlich in Westklamotten gekleidet. Allerdings scheint Freizeitbekleidung, egal, ob für Ost- oder Westgeld, beim graumelierten Oberkellner nicht gut anzukommen.
    Ich sage so selbstbewusst wie möglich: »Wir brauchen fünf Plätze, bitte!«, und schaue ihn freundlich an, ein Auge auf das aufgeschlagene Reservierungsbuch gerichtet. Die nach vollen Stunden aufgeteilte Seite des heutigen Tages hat bei 11 Uhr nur sehr wenige Einträge. Ab 12 wird es voll. Nach einem gewichtigen Blick in sein Buch und einem resignierenden Seufzer führt er uns in den fast leeren Gastraum. Direkt hinter der Flügeltür befindet sich das Jägerzimmer, deutlich erkennbar an den Geweihen, die die beige gestrichenen Wände verzieren. Ich schaue neugierig hinter das als Raumteiler genutzte Aquarium, wo drei Herren, an einem Tisch sitzend, ihr angeregtes Gespräch bei meinem Anblick unterbrechen. Dieser Raum gefällt mir besser. Er ist heller und farbenfroher und lässt Urlaubsgefühle aufkommen. Aber Fliegenfuzzi pfeift mich schon zurück. »Wenn ich bitten dürfte?« Er weist auf einen kleinen Tisch, der gerade so zwischen die Eingangs- und die Flügeltür zur Küche passt. Er zieht ihn ein wenig von der Wand weg, um einen weiteren Stuhl daran stellen zu können. Alle anderen Tische im Jägerzimmer sind zwar frei, aber mit Reserviert-Schildern für den normalen Pöbel ohne Stil gesperrt. Oberfuzzi reicht uns die Karten und verschwindet. Rudi flüstert: »Warum hatte Honecker immer neue Kellner? – Weil sie immer wieder gefragt haben: ›Darf ich nach-gießen?!‹«
    »Der will weder nach Gießen noch wird er uns auch nur einmal nachgießen!«, grinse ich. »Ich habe das Gefühl, wir müssen froh sein, wenn er überhaupt wieder an unseren Tisch kommt!« Kaum habe ich den Satz beendet, knallt neben mir die durch einen Fußtritt bewegte Pendeltür auf und bummst gegen meine Stuhllehne. »Na das ist ja ein Service!«, rufe ich dem mit drei Tellern beladenen Kellner unüberlegt laut hinterher. »Hier wird man geweckt, wenn man beim Warten auf die Bedienung einschläft!«
    »Tati, reiß dich zusammen. Du weißt, ich bin für jeden Spaß zu haben, aber oberste Priorität ist heute, den Kellner in ein nettes Gespräch zu verwickeln, um zu erfahren, wo dein Carsten steckt!«, zischt Gisi mich an.
    »Ich will Schnitzel, Mami!«, ruft Pauli und zappelt auf ihrem Stuhl.
    »Ich auch!«, ruft Max, beide grinsen sich zufrieden an.
    Beim Blättern durch die Karte muss ich unwillkürlich lächeln. Vieles gibt es in über zwanzig Jahren nicht mehr. Jedenfalls nicht unter den abgedruckten Termini. Vielleicht sind das ja auch Decknamen zur Verwirrung bundesdeutscher Besucher. Da steht: »Kännchen Kaffee, KOMPLETT : 2,40 M« und » JUIC E: 2,80 M«. Die Preise der Speisen allerdings erinnern mich an die Zeit nach der Euroeinführung. Mein lieber

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