Herr Möslein ist tot (German Edition)
plappert Pauli sofort ausführlich über den lustigen Tag im Dornröschenschloss. »Da gab es auch ein Schnitzel, und Mama hat sogar ein Geschenk von dem Kellner bekommen!«
»Na, das hört sich ja toll an. Was für ein Geschenk war das denn?«, fragt Heinz hinterlistig, und Pauli erwidert prompt: »Bestimmt ein Liebesbrief von einem Prinzen!«
»So ein Quatsch, Pauli! Ich habe doch nur die Rechnung von dem Kellner bekommen!«, lüge ich und verstehe zum ersten Mal im Leben meinen Vater, der mir und meiner Schwester jahrelang verboten hatte, Westfernsehen zu gucken, damit wir uns in der Öffentlichkeit nicht verquatschen konnten. Ich durfte in Paulis Alter nur bei Oma Westen gucken. Während meine Freunde im Kindergarten begeistert von Lassie und Skippy schwärmten, konnte ich nur von »Mainz bleibt Mainz« und dem »Blauen Bock« berichten, was auf allgemeines Desinteresse stieß. Meine Eltern guckten natürlich Westen, heimlich. Mit dem Westfernsehen in der DDR war es, wie es in ein paar Jahren mit den Pornoseiten im Internet sein wird: fast alle nutzen die, aber keiner spricht darüber.
Pauli spricht natürlich über alles. Sie hatte mit ihrer Geschichte vom Prinzen aus Forst sofort Heinzis Aufmerksamkeit. Während ich Pauli ins Bett bringe, ahne ich schon, dass Heinz den Liebesbrief noch hinterfragen wird. Kaum sitze ich in der Küche, kommt Heinz erwartungsgemäß meckernd dazu.
»Erst angeberisch mit Rudis Wartburg durch’s Land fahren und Nobelrestaurants besuchen und dann nach reichen Männern mit großen Autos Ausschau halten.« Er setzt sich mir gegenüber und stößt ein missbilligendes Grunzen aus. Ich schaue im müden Küchenfunzellicht in Heinz wütendes Gesicht und habe keinen Bock mehr auf Deeskalation. »Hör zu, lieber Heinz«, sage ich zornig und laut. »Ich habe deine Spioniererei, die nur zu Missverständnissen führt, langsam satt. Was willst du von mir? Was hast du für ein Problem? Du hast doch genug eigenes Geld, und du hast von der Scheidung profitiert und wunschgemäß auch noch den dämlichen Fiat zugesprochen bekommen!« Heinz ’ Kinn beginnt nicht – wie zu erwarten wäre – hysterisch zu zittern. Stattdessen schaut er mich betrübt, wie ein kleines Kind, dem man den Lolli weggenommen hat, aus traurigen blauen Augen an. »Der ist kaputt. Die Ventile.« Mit den küchenpsychologischen Erfahrungen einer Fünfzigjährigen versuche ich, in Heinzis Gesicht zu ergründen, was er mir damit sagen will. Eigentlich weiß er doch, dass mich diese bekloppte Schrottkiste, die uns 15 000 Mark und jede Menge Nerven gekostet hat, überhaupt nicht interessiert. Schlimmer noch: Jeder Gedanke an das vergeudete Geld macht mich wütend. Genau diese Summe hatten wir von der KWV (Kommunale Wohnungsverwaltung) für den Ausbau unserer von Frau Eichholz gemieteten Wohnung bekommen. Ich träumte von einer Jugendtouristreise nach Bulgarien, leckere Ananas und Mandarinen in Dosen aus dem »Delikat« und ein paar schicken Exquisit-Klamotten, aber Heinzi investierte das gesamte Geld in den Fiat. Dass er beim Kauf des Autos von Privat auch noch betrogen wurde, stellte er bei der ersten Fahrt zur Tankstelle fest, als das Benzin so, wie er es in die Schrottkarre laufen ließ, durch ein Loch im Tank wieder herausplätscherte. Damals guckte er genauso wie jetzt. Ventile, denke ich matt. Na und? Ich habe ganz andere, lebenswichtige Probleme zu lösen. Ich blase Heinz den Zigarettenqualm ins Gesicht und sage emotionslos: »Heinz, wenn ich über dich und deinen Fiat nachdenke, gehen mir auch gleich die Ventile hoch!«
»Sei doch nicht so!«, jammert Heinz.
Bei seinem bedauernswerten Anblick, haben meine Ventile plötzlich auch keine Lust mehr, Dampf abzulassen. Wird Zeit, dass ich einen richtigen Mann treffe, denke ich, drücke meine Zigarette aus und gehe wortlos ins Bett.
Zeit, die doch vergeht
Heinzi hat heute, wegen meiner Fahrt nach Westberlin, freiwillig und ohne zu murren den Kinderdienst übernommen. Weil ich darauf hoffe, oder besser: davon ausgehe, dass heute mein letzter Tag im alten Potsdam anbricht, habe ich gestern Abend besonders lange mit Pauli gekuschelt.
Der Tag unseres Auftritts in Westberlin beschert mir schon am frühen Morgen einen grummelnden Bauch und ein hüpfendes Herz. Wegen der Sorge, dass mir der Campingbeutel einen Strich durch die Rechnung macht und der Freude, mit ein wenig Pfadfinder-Glück heute Abend Carsten zu treffen. Ab sechs kann ich es in meinem vibrierenden Erkerbett nicht
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