Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
Vom Netzwerk:
Mann! Hauptgänge kosten hier zwischen 12,60 M für ein Schnitzel und 28 M für den Hirschrücken. Erstaunlich. In der Wohngebietsgaststätte auf dem Erfurter Johannesplatz, wo ich meine Jugend verlebte, kostete eine Kohlroulade mit Kartoffelbrei und Soße nur 3,70 Mark. Auf der nächsten Seite der Karte stehen die Kinderteller. Ein Glück, Schnitzel ist dabei und kostet nur 4,80 M. Zu uns kommt ein neuer Kellner, jünger als der Oberfuzzi und ohne Jackett, nur mit weißem Hemd und Fliege. Ich vermute hinter den Pausbacken einen Lehrling. Er schiebt den Kindern dicke Sitzkissen unter den Po, damit sie über den Tisch gucken und ordentlich essen können.
    Pauli zieht den Kellner am Ärmel und sagt: »Ich möchte einen Juice und ein Schnitzel!«
    »Ich auch!«, ruft Max.
    »Und Sie wünschen?«
    »Wir hätten gern ein Bier …«, Rudi wird sofort unterbrochen.
    »Ein Goldener Reiter oder ein Radeberger oder ein Wernesgrüner?«
    »Äh … haben sie auch ein Helles vom Fass?«
    Der junge Kellner notiert sich kommentarlos etwas auf seinen Zettel und guckt dabei so, als sortiere er uns in die untere Gästeschublade.
    »Ich hätte gern einen Kaffee!«, äußert sich Gisi.
    »Tasse oder Kännchen, schwarz oder komplett?«
    »Tasse, komplett und dazu ein Steak au four. Was willst du, Rudi?«, wendet sich Gisi an ihren Mann, der sich bei der Essenauswahl wie auch bei der Klamottenauswahl ausschließlich auf seine Frau verlässt.
    »Ich hätte gern Broiler mit Letscho und Reis!«
    »Hamwa nich!«, antwortet unser Kellner leicht genervt. »Sind ja keine Broiler-Bar, mein Herr!«
    »Na, dann nehme ich das Gleiche wie meine Frau!«, erwidert Rudi vergnügt. Er ist so fröhlich, dass ich schon Angst habe, er erzählt gleich noch mal den Kellner-Witz.
    »Und ich hätte gern einen O-Saft und dazu bitte, wie für die Kinder auch für mich, einen Kinderteller mit Schnitzel, Gemüse und Kartoffeln.« Wegen der spontan hochgezogenen Augenbrauen des Kellners setze ich entschuldigend nach: »Ich schaff einfach nicht mehr!«
    »Das machen wir aber normalerweise nicht bei Erwachsenen«, schaut er lehrerhaft auf mich herab, und die Pausbacken vibrieren verärgert. »Und wir haben auch keinen O-Saft, nur Juice!«
    »Nehme ich!«, korrigiere ich schnell meinen Lapsus und bemühe mich, freundlich zu bleiben. »Welchen Vorschlag haben Sie denn für mich, wenn ich nur eine kleine Portion essen möchte? Soljanka? Strammer Max?«
    »Hamwa auch nich! Wie wäre es mit einem Ochsenschwanzsüppchen?«
    »Na das ist mir wieder zu wenig! Das ist ja ohne Einlage, wie ich von Herrn Lummer weiß.« Ich finde meine spontane Idee, mich als Insider auszugeben und beiläufig Carstens Namen zu erwähnen, sehr clever und zielführend. Gisi erkennt meinen Plan. »Ja, der Carsten, das ist ein alter Freund von uns!«
    »Der hat uns dieses hervorragende Restaurant empfohlen!«, äußere ich bedeutungsvoll. »Wo ist er heute eigentlich?«
    Der junge Lehrlingskellner reagiert unerwartet. Statt uns freundlicher anzusehen und eine konspirative Plauderei mit uns zu beginnen, wie das sonst üblicherweise bei Bekannten von Bekannten gehandhabt wird, hüstelt er kurz und verschwindet mit einem Rumms gegen die Pendeltür in der Küche.
    »Vielleicht hat er uns nicht verstanden?«, grübelt Gisi.
    »Mhm. Vielleicht kennt er ihn auch nicht?«, gebe ich zu bedenken.
    Rudi versucht es wieder mit einem Witz: » FORU M geht’s denn Mädels?«
    »Du meinst, wir sollten uns die Infos von ihm erkaufen? Aber ich habe gar keine Forum-Schecks!«, bedaure ich plötzlich, so unbedarft und unvorbereitet auf diese Reise gegangen zu sein. Gisi dagegen grinst verschwörerisch und legt einen Fünf-Mark-Forumscheck auf den Tisch.
    »Bist du verrückt? Das sind fünfzig Ostmark! Das kann ich nicht annehmen«, empöre ich mich. Nach kurzer Überlegung befinde ich allerdings, dass ich für mein Lebensglück die fünfzig Mark springen lassen könnte, greife nach dem Schein und sage: »Oder doch. Ich gebe es dir zurück, wenn ich meinen Auftritt in Westberlin bezahlt bekomme. Ist das okay für dich?«
    »Sonst hätte ich es ja nicht gemacht«, freut sich Gisi, mir helfen zu können. Unsere Kinder beobachten uns neugierig. Der Schein, den ich jetzt in meiner geschlossenen Faust halte, animiert Pauli, dem Kellner, der gerade mit großem Knall aus der Tür trat und jetzt die Getränke serviert, zuzurufen: »Mama hat auch bald Westgeld, und wir haben einen Farbfernseher und einen Fiat.« Ich bin

Weitere Kostenlose Bücher