Herr Möslein ist tot (German Edition)
Alles wird gut!« Ich sage diesen Nina-Ruge-Satz leichtfertig dahin, obwohl ich es besser wissen müsste. Zum einen ist noch gar nicht sicher, ob ich meinen Eltern die nächsten Schwiegersöhne in spe erspare, weil ich Carsten noch nicht in mich verliebt machen konnte, zum anderen weiß ich ziemlich genau, dass nicht ALLE S gut wird. Vor allem nicht für die Generation meiner Eltern, die gerade von der bis dahin in der DDR noch unbekannten, aber vorhandenen Midlife-Crisis befallen sein müssten. Ich frage mich zum ersten Mal im Leben, wie es wohl meinen fast fünfzigjährigen Eltern in der Wendezeit psychisch ergangen ist. Gerade in diesem Alter sind Umstellungen schwierig. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Je älter ich werde, desto mehr liebe ich die Monotonie des immer gleichen Tagesablaufs mit Frühstück und Zeitungslektüre, der darauffolgenden Schreibtischarbeit, dem leckeren Essen von Carsten am Nachmittag und meinen Auftritten am Abend. Die kleinste Störung dieser Routine führt zu Stress, manchmal zu Migräne, aber immer zu einem Versagen meiner Verdauung. Mein Gott, denke ich, wie schwer muss es für meine Eltern sein, neben der persönlichen Mittlebenskrise auch noch die komplette innere und äußere Veränderung einer Gesellschaft zu verkraften. Ich glaube, sie rechnen gerade mit allem: Krankheiten, Zahnersatz und einschlafender Libido, aber niemals mit Entwurzelung, einem neuen Heimatland und einer neuen Gesellschaftsordnung. Die Midlife-Crisis, die für mich eine Zeit des auf mich selbst Besinnens, des Ruhigerwerdens und des Genießens einläutete, wird sich in wenigen Tagen für meine Eltern zu einem kraft- und nervenraubenden Neubeginn entwickeln. Sie müssen in dieser Zeit ihr fast fünfzigjähriges Leben von anderen neu bewerten lassen. Ich lege bei diesen Gedanken meinen Arm beschützend auf Mamas Schulter.
»Ach Kind«, reißt mich Mama aus meinen Überlegungen, »ich wünsche mir doch nur, dass du glücklich wirst!«
»Das wünsche ich mir auch für dich, Mama!« Das Schönste, was dir deiner Meinung nach passieren wird, setze ich in Gedanken nach, sind die vielen Reisen in Länder, von denen du uns immer Fantasiegeschichten erzählt hast. Du wirst dir auch den Lebenstraum erfüllen und mit Kindern und Enkeln Disneyland in Paris und den USA besuchen. Die Orte unserer Donald-Duck-Hefte. Das wird gut. Ich weiß es.
Geile Meile
Trotz der gestrigen langen Fahrt nach Erfurt und zurück, geht es meinem Rücken heute ausgesprochen gut. Ihm wird es auch nichts ausmachen, gleich heute im Trabi bis nach Hamburg zu fahren. Im Moment habe ich auf Hamburg genauso wenig Lust wie auf die zehnte Tatortwiederholung im Ersten. Der einzige Aufregung versprechende Lichtblick dieser Fahrt könnte mein von allen Campingbeuteln ungestörter Anruf bei Schwiemu werden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie ohne das Klicken im Hörer offen und ehrlich mit mir reden wird.
Betty und ich konnten unsere Reisepässe mit den frischen Visa schon vorgestern bei der Polizei in Babelsberg abholen. Zwei Tage, eine Nacht und die Einreise mit Bettys Trabant am Grenzübergang Helmstedt/Marienborn wurden uns genehmigt. Bevor mich Betty gleich abholen wird, klingele ich schnell bei Frau Eichholz, die ein Paket für mich angenommen hat, als ich in Erfurt war. Sie öffnet die Tür, sieht mich und schreit: »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich das langsam satthabe mit der Bumserei bei offenem Fenster!«
»Guten Morgen, Frau Eichholz!«, erwidere ich verwirrt. Ich verstehe nicht, was die mit rosa Strickpullover, grünem Malimo-Rock und braunen Strickstrümpfen bekleidete Hausbuchführerin von mir will.
»Was denn für eine Bumserei, Frau Eichholz?«, frage ich höflich.
»Na Ihr Mann, der bumst und stöhnt bei offener Balkontür auf den Hinterhof!« Ich bin verblüfft. Diese alte Frau meint mit bumsen wirklich Geschlechtsverkehr.
»Ich werde mit ihm schimpfen«, antworte ich.»Frau Eichholz, Sie haben ein Paket für mich angenommen?«
Sie schlurft wortlos davon, ihr Riesenpudel bleibt stehen und beobachtet mich.
»Soll ich Ihnen tragen helfen?«, rufe ich durch die geöffnete Tür.
»Für wie alt halten Sie mich denn?«, keift sie, schleppt, den großen Karton auf ihren der Schwerkraft nachgebenden Brüsten heran und lässt ihn direkt vor mir auf die Türschwelle fallen. Der Riesenpudel bellt. »Und sagen Sie Ihrem Mann Bescheid! Besuch muss ins Hausbuch eingetragen werden!«, schnauft sie zum Abschied.
In meiner Küche
Weitere Kostenlose Bücher