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Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
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angekommen, reiße ich das mit Packpapier und dickem Strick verknotete Paket auf und bin, als ich die vier Fotoalben meiner Schwester auspacke, extrem stolz auf mich, weil ich der Geschichte ein kleines Schnippchen schlagen konnte. Ich habe die Erinnerungen Alexandras gerettet. »Was machste denn da?« Es ist Sonntag, Heinz ist zu Hause und kommt neugierig an den mit Papier, Kartonfetzen und Alben beladenen Küchentisch.
    »Schönen Gruß von Frau Eichholz, du sollst nachts nicht so laut bumsen«, ignoriere ich seine Frage.
    »Das hat sie dir erzählt? Sie klopfte vorgestern Nacht halb zwei mit ihrem Krückstock an die Wohnungstür und zeterte. Ich habe nicht geöffnet.«
    »Ich war nur erstaunt, dass du deine neue Freundin mit hierher schleppst, wenn ich nicht da bin«, sage ich so beiläufig wie möglich, während ich in Alus Alben blättere.
    »Na, hör mal, du willst mich doch nicht mehr, da werde ich doch mal ’ ne Frau mitbringen dürfen!« Heinz ’ Tonfall wird schon wieder jammerich.
    »Ja, natürlich Heinz, das ist wichtig für dein Selbstbewusstsein. Aber vielleicht solltest du dich besser um eine eigene Wohnung bemühen!«
    »Mach ich doch!«, sagt er bockig und stapft in seine, im Moment hoffentlich verwaiste, Liebeshöhle zurück.
    »Ich mach mich dann fertig für Hamburg, ja? Benimm dich anständig!«, rufe ich ihm hinterher. Ich blättere in Alus Fotoalbum. Mein Blick bleibt auf einem Schwarz-Weiß-Foto hängen, das ich seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen habe. Unter dem Foto steht: Tati und ich in der Josephinenstraße 1981. Ich stehe, bei einem meiner seltenen Besuche während meines Studiums, neben meiner Schwester vor dem grauen Mehrfamilienhaus, in dem Alu nach ihrem Engagement als Tänzerin an der Oper in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen und früheren Chemnitz, ihre erste kleine Wohnung bezog. Plötzlich erinnere ich mich, dass die Schuhe mit dem Keilabsatz, die ich trage, grün, die kurze Wolljacke mit dem runden Kragen grau und die Knickerbockerhose dunkelblau waren. Meine Schwester hat sich auf dem Foto bei mir eingehängt und guckt glücklich in die Kamera. Ich schwelge gerade in Erinnerungen, als es stürmisch an der Tür klingelt. Ich muss los. Bevor ich die Wohnung verlasse, verstecke ich Alus Alben im Bettkasten meines Erkerbettes vor Heinzi.
    ***
    Betty, voll Vorfreude auf zwei aufregende Tage in Hamburg, und ich, voll vorauseilender Langeweile, fahren auf der Autobahn Richtung Hannover.
    »Tati, ich freue mich so, dass das geklappt hat. Frau Lukas hat mir gesagt, dass unser Gastspiel in der Trabrennbahn Mariendorf am 4. November auch genehmigt wird. Wenn das so ist, werden sie uns auch alle weiteren Gastspiele im Westen genehmigen«, sagt Betty fröhlich.
    »Bestimmt!«, erwidere ich missmutig. Die Nachricht, dass der Vierte erst jetzt genehmigt wurde, überrascht mich allerdings.
    »Und darum habe ich für unseren zweiten Hamburg-Tag einen Termin in einer Bar auf der Großen Freiheit vereinbart, deren Inhaber uns gern engagieren möchte!« Betty strahlt mich beifallheischend an.
    »Ja, toll, du weißt schon, dass die Große Freiheit im Rotlichtviertel Hamburgs liegt?«
    »Ja, aber ich habe mit einer Tänzerin aus Prag gesprochen, die sagte, dass es dort sehr angenehm ist, gar nicht versaut oder so. Wir sollen wirklich nur tanzen!« Wir werden dort nie tanzen, aber egal. Ich werde Betty den Spaß nicht verderben.
    »Und weißt du, wie der Chef des Ladens heißt?« Betty feixt, weil sie davon überzeugt ist, gleich einen Mörder-Gag zu landen.
    »Er heißt Herr Möslein!«, antworte ich spielverderberhaft. Als Betty mir das zum ersten Mal erzählte, hatten wir uns über den zum Job absolut passenden Namen halb totgelacht.
    »Woher weißt du das?« Betty ist enttäuscht.
    »Ich habe es von Kollegen gehört!«
    »Schade!« Unser Gespräch versiegt, als wir gerade Magdeburg passieren. Bis 1998 hatte ich die einstige Bezirks- und spätere Landeshauptstadt nie besucht, aber danach jeden Samstag, sieben Jahre lang. Ich denke ein bisschen wehmütig, so wie ältere Leute eben an ihre Jugend denken, an die aufregende Zeit als Glücksfee des MDR zurück. Der Fernsehsender, der aus dem DDR -Fernsehen hervorgehen wird, baut 1998 auf der Elbinsel, in der Nähe der Stadthalle, das Landesfunkhaus Magdeburg, das durch seine dunklen Außenwandfliesen auf den ersten Blick wie ein überdimensioniertes Krematorium wirkt. Die allererste dort produzierte Sendung wird TeleBingo sein, und ich darf sie zusammen

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