Herr Möslein ist tot (German Edition)
mit meinem Kollegen Achim Geimer moderieren. Durfte sie moderieren. Ulkig. Irgendwie kann ich mich nicht entscheiden, ob ich jetzt in der Vergangenheit oder in der Zukunft denken soll. Jedenfalls lernte ich bei dieser Arbeit Hunderte Prominente kennen. Persönlich. Aus Ost und West. Promis, die schon immer welche waren, wie Elke Sommer oder Gitte Henning; Fernsehlieblinge aus meiner Kindheit wie Frau Puppendoktor Pille oder Frank Schöbel; Künstler, die in weniger als 25 Jahren schon nicht mehr leben werden, wie Dieter Krebs und Elisabeth Volkmann. Und Sternchen, die kurz aufgehen und dann wieder verglühen. Ich habe gerade große Lust, Betty zu erzählen, wie mich Herbert Feuerstein allein durch seine Anwesenheit zum Lachen brachte, weil er Jürgen Drews Faltencreme für seinen Hintern empfahl, da doch das Gerücht umging, er hätte sich denselben liften lassen. Oder wie Elisabeth Volkmann ihren Schneidezahn während des Interviews verlor. Aber wer weiß, ob Betty die Promis schon kennt. Für Betty ist das Zukunftsmusik, für mich Geschichte.
Ich gähne. Schon lange, bevor wir uns den Grenzanlagen nähern, sehe ich rechts und links der Autobahn hohe Maschen- oder Stacheldrahtzäune. Wir sind fast das einzige Auto, das sich dem modern wirkenden Abfertigungsterminal, das den Mautstellen in Italien ähnelt, nähert. Betty und ich halten die Luft an. Auf diese Angst vor Grenzkontrollen sind wir konditioniert. Das geht nicht mehr weg, obwohl wir so selten über eine Grenze durften.
»Juten Tach, Bürjerinnen!«, singt der Grenzbeamte im typischen Sachsen-Anhalt-Dialekt und schaut freundlich durch das Fenster seines gläsernen Kabuffs. »Ihre Reisepässe bitte und die Fahrzeuchpapiere mit Jenehmijung zur Einreise in die Bundesrepublik!«
»Der ist ja ganz nett!«, flüstere ich Betty zu.
»Psst!« Betty ist angespannt. »Hast du’s nicht gesehen? Der trägt an seinem Koppel eine Pistole.« Ich versuche das soeben Gehörte visuell zu überprüfen und recke meinen Kopf. Der Beamte hat sich allerdings hingesetzt und so tief über unsere Papiere beugt, dass ich nur die von oben kreisrunde, durch seinen Kopf ausgebeulte Mütze sehen kann. Dann blickt er auf und beugt sich weit aus seinem Fenster.
»Und Sie wollen wejen de Kultur rüber reisen? Das is jut, da können wa zeijen, was wir für schöne Mächen ham! Jute Weiterfahrt!«
Kaum hat der Grenzbeamte unsere Papiere durchs Fenster gereicht, gibt Betty Gas.
»War der schmierig!«, sagt sie empört.
»Immerhin hat er nicht den Satz mit Gänsefleisch gesagt«, bringe ich zur Auflockerung meinen Lieblings-Sachsen-Witz ins Gespräch ein.
»Hä? Wie Gänsefleisch?«, Betty schaltet ruckartig in den vierten Gang.
»Na: Gänsefleisch den Gofforraum offmachen?«, setze ich punktgenau den Super-Gag. Betty lacht nicht. Sie meckert ungerührt weiter. »Der glaubt doch nicht wirklich, dass er uns so anmachen kann, nur weil wir Tänzerinnen sind. Was denkt der sich denn!«
»Betty, reg dich nicht auf. Das hat nichts damit zu tun. Wir sind eben jung und er hat noch jede Menge Testosteron. Das wird später anders. In zwanzig Jahren, werden wir uns nach Männern seines Alters sehnen, die uns anbaggern!«
»Niemals. Außerdem hast du dich doch auch maßlos über Egon Krenz aufgeregt, als er dir in der Leipziger Oper hinterher gepfiffen hat?« Stimmt. Ich erinnere mich. Ich trug damals genau die Klamotten, die ich erst heute wieder auf dem Foto in Alus Album gesehen hatte. Ich schritt in der Pause die Treppen hinunter ins Foyer, ein Pfiff durchschnitt das die Halle füllende Gemurmel der Operngäste. Als ich mich nach dem Pfeifenden auf der Treppe genervt umdrehte und Egon Krenz erkannte, erschreckte ich mich so sehr, als würde ich nach einem One-Night-Stand neben Ottfried Fischer aufwachen.
»Na ja, schlimmer war noch meine Verlegenheit, als er mir am Treppenende den Kultur-Chefideologen Kurt Hager vorstellte und ich ihm sagen sollte, woher ich die tollen Klamotten hätte, die ich damals trug!«, erzähle ich Betty.
»Ach? Woher hattest du die denn?«
»Von Mamas Freundin aus dem Westen.«
»Und was haste gesagt?«
»Ich habe ihm gesagt, dass ich in einem sozialistischen Arbeiter-Nähzirkel aktiv bin und wir uns unsere Klamotten zur Stärkung der sozialistischen Volkswirtschaft immer selber nähen!« Endlich lacht Betty, und auch meine Laune steigt wieder. Wir fahren der aus Richtung Westen scheinenden Herbstsonne entgegen, albern rum und singen. Ich auf Sächsisch:
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