Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
…«
»Sehr anspruchsvoll?« Wolfgang schluckte an den Worten wie an Zitronensaft. »Wiewohl man wollte wünschen, dass die Musik einen Anspruch habe; wo nicht, da ist sie fad und leer, ohne Esprit, für Leute, die nicht zu hören verstehen.«
»Sicher, Herr Mustermann, sicher. Das allein wäre auch nicht das Problem. Aber was Sie da verfasst haben, klingt, ehm« – Singlingers Kopf schwankte noch immer –, »nun ja, etwas zu sehr nach Mozart.«
»Zu sehr nach Mozart? Großartig! Zu sehr nach Mozart!« Wolfgang lachte auf, schlug sich auf den Schenkel, Wasser schoss ihm in die Augen. »Was ist gefehlt an Mozart? Ist er nicht einer der größten Compositeure aller Zeiten?«
»Unberufen, Herr Mustermann, unberufen. Ich bin selbst einer seiner glühendsten Verehrer. Aber für solche Musik gibt es heute keinen Markt mehr. Und Sie wollen doch schließlich Geld verdienen.«
Wolfgang sprang auf. »Aber Mozart spielt man allerorten. Selbst im Häusel der U-Bahn pisst man nach seinem Takt.«
»Nach Mozarts, ja. Weil er eine Ikone ist und seine Werke untrennbar mit seiner Person verbunden sind. Aber es sind Mozarts Werke und nicht Ihre, Herr Mustermann!« Die Hand des Verlegers fuhr über die ausgebreiteten Noten. »Ihre wird man dort nicht spielen, auch wenn sie noch so gut sind und hundertmal wie Mozart klingen.« Singlinger atmete vernehmlich. »Weil Sie nicht Mozart sind.« Er lehnte sich zurück und schwieg. Schließlich fuhr er mit leisererStimme fort. »Machen Sie sich von ihm los, Herr Mustermann, dann haben Sie eine glänzende Zukunft vor sich.«
Wolfgang sank in den Polsterstuhl zurück, der aussah wie der Boudoirsessel seiner Schwiegermutter, rieb mit den Händen über seine Oberschenkel, sah von den Noten zu Singlinger und wieder zurück.
Es drängte ihn, Singlinger die Wahrheit entgegenzuschleudern, doch was hätte das genutzt? Zweihundert Jahre! Er dachte an die allererste Aufführung von
Cosi fan tutte
. Niemand hatte die Opera sehen wollen, keiner das Werk verstanden, alle hatten es für unmoralisch und zynisch gehalten. Dabei war es nichts denn die Wahrheit gewesen, die er seinerzeit in Scena gesetzt hatte. Und nun wurde diese verschmähte Opera ständig auf allen Bühnen gegeben. Was für ein Narr er gewesen war zu glauben, das Publikum müsse begeistert sein, wenn er genau dort weitermachte, wo er hatte aufhören müssen, nur weil sich noch immer alles um die Musik drehte, die er vor langer Zeit geschaffen hatte. Zweihundert Jahre. Die Menschen waren nicht mehr die gleichen, kannten die Welt nicht, wie er sie kannte, und hörten seine Musik, wie man Konserven öffnet, um eine Weile im Geschmack vergangener Zeit zu versinken. Und war es ihnen zu verdenken? Sie klammerten sich an das, was sie gewohnt waren.
Wie anders war das doch in seinen Tagen gewesen, da das Publikum stets nur das Allerneueste hatte hören wollen. Und war nicht das der Grund, warum er hier war? Gab es nicht reichlich Brachland zu beackern, eine wahrhaft neue Musik zu schaffen, die gehört werden würde, statt zu verstauben? Mit einem Satz sprang er auf und raffte die Noten zusammen.
»Monsieur, Sie sollen Ihre Klavierschule bekommen – und noch vieles obendrein! Der Gedanken hierzu habe ich reichlich. So werde ich gewiss recht bald auch einen Nutzen davon haben können, nicht wahr?«
Wolfgang war, als höre er Singlinger leise stöhnen, während der ihm ein Formular über den Tisch schob.
»Ich nehme Sie in unsere Autorenkartei auf, Herr Mustermann, und schicke Ihnen dann einen Vertrag. Wenn Sie mir bis Ende des Monats ein paar brauchbare Sachen bringen, kann ich Ihnen vielleicht einen kleinen Vorschuss gewähren.«
Als er das Verlagshaus wieder verließ, blendete ihn die Sonne so unerwartet, dass er niesen musste. Er öffnete den Verschluss seiner Jacke bis zur Brust und ließ die Sonne auf sein Hemd scheinen, dachte an seinen Vater, der ihn als kleinen Jungen mit jenen Gesetzen vertraut gemacht hatte die Wolfgang zeit seines bisherigen Lebens bis an den Rand hin ausgereizt hatte, ja, die er so oft gewünscht hatte endgültig zum Bersten bringen zu dürfen, obgleich sie ihm stets Halt und Stütze gewesen waren. Und nun? Als sei er unversehens von einem Schiff gegangen, ohne dass Land in Sicht wäre, trieb er, in einem viel zu leichten Beiboot, auf der Dünung. So viele Wege warteten auf ihn, so viele Möglichkeiten, so viele Freiheiten. Er trottete die Straße entlang, und der Boden schwankte unter seinen
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