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Herr Palomar

Herr Palomar

Titel: Herr Palomar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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Den sanften Tauben von einst, deren Flug die Plätze erfreute, ist eine verkommene Brut nachgefolgt, ein dreckiges und verseuchtes Pack, weder zahm noch wild, doch zum integralen Bestandteil der öffentlichen Institutionen geworden und als solcher unausrottbar. Der Himmel Roms ist seit langem in die Gewalt der Überbevölkerung dieser Lumpenvögel gefallen, die den anderen Vogelarten ringsum das Leben schwer machen und das einst freie und mannigfaltige Reich der Lüfte bedrücken mit ihrem monoton bleigrauen und gerupften Gefieder.
     Eingezwängt zwischen die unterirdischen Horden der Mäuse und den lastenden Flug dieser Tauben läßt sich die uralte Stadt von unten und oben zerfressen, ohne dagegen mehr Widerstand aufzubringen als ehedem gegen die Einfälle der Barbaren – als würde sie darin nicht den Ansturm äußerer Feinde erkennen, sondern die dunkleren kongenitalen Triebe ihres eigenen Wesens.
     Die Stadt hat indessen auch eine Seele (eine von vielen), die von der Eintracht lebt, in welcher sich altes Gemäuer und immer neue Vegetation die reichliche Gunst der Sonne teilen. Vertrauend auf diesen guten Wesenszug des Milieus oder genius loci träumt die Palomarsche Terrasse, eine abgeschiedene Insel über den Dächern, alle Pracht und Fülle der Gärten Babylons unter ihrer Pergola zu vereinen.
     Die Üppigkeit der Terrasse entspricht den Wünschen aller Familienmitglieder, doch während Frau Palomar als die pflegliche Mutter spontan und natürlich dazu gekommen war, ihre Aufmerksamkeit für die einzelnen Dinge auf die Pflanzen zu übertragen (die sie ausgewählt und sich durch innere Identifikation zu eigen gemacht und auf diese Weise zu integrieren verstanden hatte, so daß sie nun ein Ensemble mit vielerlei Variationen bilden, eine Art emblematische Sammlung), geht diese geistige Dimension den beiden anderen ab: der Tochter, weil Jugend sich nie auf das Hier-und-Jetzt fixieren kann noch darf, sondern immer nur auf das Weiter-Vorn, und dem Vater, weil er zu spät dahin kam, sich von der jugendlichen Ungeduld zu befreien und zu begreifen (nur in der Theorie), daß letzten Endes das einzige Heil darin liegt, sich an die vorhandenen Dinge zu halten.
     Die Sorgen des Gärtners, für den nichts anderes zählt als die gegebene Pflanze, das gegebene Stück Boden, das der Sonne von dann bis dann ausgesetzt ist, die gegebene Blattkrankheit, die beizeiten bekämpf werden muß mit der und der Behandlungsmethode, sind einem Denken fremd, das sich an industriellen Verfahrensweisen geschult hat und folglich mehr dazu neigt, über die generelle Anlage und die Prototypen zu entscheiden. Als Herrn Palomar aufging, wie ungenau und fehleranfällig die Kriterien jener Welt sind, in welcher er Präzision und universale Normen zu finden vermeinte, kam er langsam darauf zurück, sich ein Verhältnis zur Welt zu schaffen, indem er es auf die Betrachtung der sichtbaren Formen beschränkte; doch da er inzwischen nun eben war, wie er war, blieb seine Aufmerksamkeit für die Dinge nur das sporadische und labile Interesse jener Leute, die immer den Eindruck erwecken, als dächten sie an etwas anderes, doch dieses andere ist nicht da. Und so besteht nun sein Beitrag zur Prosperität der Terrasse darin, daß er ab und zu hinläuft, um – Ksch! Ksch! – das Taubenpack zu verscheuchen, nicht ohne dabei den atavistischen Reiz der Verteidigung des Territoriums zu spüren.
     Lassen sich andere Vögel als Tauben auf der Terrasse nieder, so verscheucht sie Herr Palomar nicht, sondern heißt sie willkommen, drückt ein Auge zu, falls sie Schäden mit ihren Schnäbeln anrichten, und betrachtet sie eher als Boten freundlicher Götter. Doch solche Besuche sind rar: Hin und wieder kommt eine Abordnung Krähen geflogen, punktiert den Himmel mit schwarzen Flecken und verbreitet (auch die Sprache der Götter ändert sich mit den Jahrhunderten) ein Gefühl von Leben und Freude. Manchmal erscheint ein Amselpaar, artig und wachsam; einmal war auch ein Rotkehlchen da; und natürlich das Spatzenvolk in der üblichen Rolle anonymer Passanten. Andere Präsenzen gefederter Wesen über der Stadt sind mehr aus der Ferne zu sichten: die Zugvögelschwärme im Herbst und im Sommer die Akrobatik der Schwalben und Mauersegler. Ab und zu kommen auch weiße Möwen, mit langen Flügeln die Luft durchrudernd, bis über das trockene Ziegelmeer, vielleicht verirrt, von der Mündung aufwärts den Schleifen des Tibers folgend, vielleicht auch vertief in ein

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