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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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mindestens eine Stunde zu duschen, manchmal vier. Ich wasche mich andauernd, habe Angst vor Ansteckung, Bazillen, Tod. Rot ist Blut, ist der Tod, blau ist Norden, ist Kälte, ist das Leben. Ich kann die Buchstaben x, z, y nicht schreiben, ich kann keinen Kaffee trinken, dessen Name ein x, z oder y enthält, das ist Gehirnsaft. Ich kann kein Kaffeepaket von Luxus oder Zoégas anfassen. Ich kann keine Türschwelle überqueren, brauche mindestens eine halbe Stunde, um durch eine Tür zu kommen, manchmal auch sechs Stunden.«

    Nach einer Weile unterbricht mich Lasse und sagt es so, wie es ist:

    »Schreiben Sie lieber auf, wann Sie nicht zwangshandeln … dann sparen wir Zeit.«

    »Wenn ich schlafe«, antworte ich.

    Wir verabreden uns für den nächsten Tag in Lasses Sprechstunde. Dann werden wir über die Behandlung und die Auflagen und die Strategie sprechen – und Kaffee trinken.

    Am nächsten Tag. Vor der Praxis. 12 Uhr 30.

    Ich komme nicht durch die Tür.

    Ich bleibe vollkommen stecken, so schlimm wie lange nicht. Vielleicht machen mir die Erwartungen Stress. Zwei Stunden später komme ich zum Empfang. Und sofort rieche ich den Kaffeeduft. Ich frage die Sprechstundenhilfe hinter dem Tresen:

    »Was für eine Kaffeesorte haben Sie hier …?«

    »Ich denke, das ist Zoégas.«

    Entschlossenen Schrittes stapfe ich zu Lasses Sprechzimmer, ich bin wütend, verrückt, aufs Schrecklichste provoziert. Zufällig schaffe ich es, mich beim ersten Versuch in sein kleines Zimmer zu begeben, und dann schimpfe und zetere ich und verwünsche ihn.

    »Wie in aller … also, wir wollten doch Kaffee trinken und über die Behandlung reden, wie zum Teufel können Sie den Gehirnsaftkaffee von Zoégas haben, wenn ich Ihnen doch gestern am Telefon erzählt habe, dass ich die Buchstaben x und z und y nicht schreiben kann, keinen Kaffee mit z im Namen trinken kann, dass das Gehirnsaft ist, haben Sie das vergessen, haben Sie vergessen, dass ich auch nicht duschen oder mich waschen oder bis sechs zählen oder normal durch eine Tür gehen oder eine Türschwelle überschreiten kann … äh, ich haue ab, fahre lieber nach Hause, mache mit dem Leben weiter, das ich habe, ich brauche keine Hilfe, ich gehe jetzt …«

    Lasse bleibt auf seinem Stuhl sitzen. Er sieht mich kaum an, kommt aber direkt auf den Punkt und sagt entschieden:

    »Ja, dann gehen Sie …«

    »Ja, jetzt gehe ich«, sage ich, immer noch entrüstet.

    »Gehen Sie …«

    »Ich gehe …«

    »Also, gehen Sie.«

    »Jetzt.«

    »Gehen Sie.«

    »Jetzt gehe ich.«

    »Gehen Sie.«

    Ein langes Schweigen, ehe Lasse gleichgültig sagt:

    »Sie kommen ja doch nicht durch die Tür.«

    Die Provokation ist perfekt, er zerbröselt mein Ritual. Er blickt weiter geradeaus, ich koche weiter, koche über und versuche, ihn zu schlagen. Vielleicht treffe ich die Schulter, vielleicht den Arm, vielleicht wedele ich mit meinen Armen in der Luft herum. Ehe ich mich wieder fassen kann, spüre ich, wie seine Hand mich trifft, vielleicht ist es der Luftdruck, vielleicht wedelt er mit seinen Armen in der Luft herum. Ich koche immer noch, alles kocht über, ich brülle:

    »Verdammte Scheiße, Sie wollten Ihren Patienten schlagen, unglaublich, den Patienten schlagen, das ist strafbar, Sie müssen bestraft werden.«

    »Sie haben angefangen«, unterbricht er mich.

    »Ich werde Sie bei der Ärztekammer anzeigen, Sie dürfen nie mehr als Psychologe arbeiten, man wird Ihnen die Behandlungserlaubnis entziehen, geben Sie mir das Anmeldeformular, dann werde ich Sie verdammt noch mal anzeigen.«

    Lasse nickt.

    »Klar. Sie sollen das Formular haben, aber ich sage Ihnen schon jetzt – da sind eine verdammte Menge x, z und y drin, Sie werden also garantiert angesteckt werden und dann sterben.«

    Ich falle, falle platt hin, das Gehirn versucht wegzurennen, ich schäme mich, ich bin entlarvt, nackt.

    Lasse lächelt, ich fange an zu lächeln. Er redet weiter, nun gedämpft und sachlich:

    »Denken Sie mal nach. Erst muss ich Sie gesund machen, dann können Sie mich anzeigen, weil ich versucht habe, Sie zu schlagen, auch wenn wir beide wissen, dass Sie derjenige waren, der angefangen hat. Soll ich … soll ich das Formular holen?«

    Mir fehlen die Worte, bin vollkommen paralysiert. Lasse fährt fort:

    »Ich habe Patienten, denen es mindestens so beschissen geht wie Ihnen. Sie brauchen akute Hilfe, Sie sollen nicht so leben müssen, wie Sie es tun. Aber Sie sind ein erwachsener Mann, wenn Sie meine

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