Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
Vom Netzwerk:
Schlüsselfächer, wenn man später mal in einem blauen Overall mit gelbem Logo auf der rechten Brusttasche herumlaufen will. Dieselben Fächer sind auch wichtig, wenn man Tierarzt oder Arzt oder Zahnarzt oder Physiotherapeut werden und in einem weißen Kittel ohne Logo auf der rechten Brusttasche herumlaufen will. Alle arbeiten härter, und es beginnt ein unsichtbarer Wettkampf. Noten werden verglichen, wer kann am meisten, kriegt die besten Zensuren, wird am meisten Geld verdienen? Lena und Johanna und Line wollen in die Hauptstadt, Ola und Nina setzen auf die Seefahrt, Inger und Arni wollen Zahnärzte oder Astronauten werden, während Sami-Ove und Harald zurück ins Tal gehen werden.

    Der Bodycheck hat mich gefährlicher und sichtbarer gemacht, aber drinnen in meinem Kopf fühle ich mich immer noch unsichtbar. Und in der Schule hinke ich hinterher. Weit hinterher. Chemie und Physik und Mathematik bringen eine riesige Menge x, z und y mit sich, im Physiksaal riecht es nach Köcherfliegen, und der Umschlag vom Chemiebuch ist feuerrot und mausetot. Ich schreibe halbe x, z und y, halte mir im Physiksaal die Nase zu und vermeide, das Chemiebuch mit den Händen anzufassen, denn das Buch = Gefahr, Ansteckung, rot, Tod.

    Die Arbeit in der Schule wird jetzt auch Hauptthema in den Pausen – was für eine Note hast du gekriegt? Was willst du mal werden, wie viel Geld wirst du dann verdienen? Allerdings stammt die Hälfte der Klasse von Höfen und aus Familienbetrieben, die sie völlig unabhängig von ihrer Hirnkapazität automatisch übernehmen werden, und so scheren sich manche überhaupt nicht um Noten oder akademische Laufbahnen. Aber trotzdem wollen sie sich möglichst gut darstellen. Für sie ist der Wettkampf die Hauptsache, Noten und Zukunft sind etwas völlig anderes. Ihre Zukunft wurde schon festgelegt, noch ehe sie »S-a-l-a-m-i« buchstabieren konnten. Auf diese Weise haben viele in der Klasse keine konkreten Berufswünsche, sie wollen einfach nur am besten sein, was mich noch mehr stört. Vielleicht bin ich nur ein Bluff. Ein bluffender Idiot, der nicht so rechnen oder buchstabieren oder reden kann wie die anderen – was geht eigentlich ab in meinem Kopf?

    Sogar Sami-Ove, der lahme Frank und der coole Oskar fixieren sich jetzt auf Mathematik, Chemie und Geschichte. Alle in der Klasse scheinen mir mindestens ein Jahr voraus zu sein, in allem, außer im Sport. Ich bleibe an bösen Buchstaben und gefährlichen Farben kleben, schaffe es nie, einen Test oder eine Aufgabe zu meistern, ohne Tod und Ansteckung oder Köcherfliegen und Blut beizumengen. Die Noten sacken ab, nicht wie ein Torpedoboot, sondern mehr wie die lahme, faule Titanic – graduell, teilweise, schrittweise. Meine Arbeiten enthalten mehr rote Korrekturtinte als weiße Stellen. Idiot? Ja. Hoffnungsloser Idiot? Tja.

Ich will deine Erektion sehen

    Dank meiner undefinierbaren Energie und meines unfreiwilligen Mutes schaffe ich es dennoch, den Kopf über Wasser zu halten. Ich lebe die Energie aus, schere mich nicht um die Noten und bin einfach – so erfinde ich meine eigene Fachrichtung, und das rettet mich auch davor, gesellschaftlich gesehen völlig aus dem Ruder zu laufen. Vielleicht ist mir das klar, vielleicht auch nicht. Indem ich einfach Dinge tue, ohne mich um die Konsequenzen zu kümmern, gerate ich in seltsame Situationen und Geschichten, die Furchtlosigkeit siegt – und ich werde respektiert. Ich hätte so gern eine gute Note, wenigstens in einem Fach, aber der Impuls will andere Dinge, und es sind eben diese anderen Dinge, die mich zu einem schrägen Typen machen, und das wiederum rettet mich davor, als komplett hoffnungsloser Idiot abgestempelt zu werden. Der Verrückte in mir wird attraktiv und gefährlich, ich gewinne an Boden, Boden, den die fleißigen Schüler nicht entdecken oder den zu betreten sie gar nicht erst wagen. Das geschieht einfach, ohne dass ich mir dessen bewusst wäre. Aber es wird mir immer klarer, dass man entweder ein intellektueller Held mit sehr guten Noten ist, oder man ist ein gefährlicher Held mit sehr guten Verrücktheiten. Und auf diesem neu entdeckten Gebiet gibt es zwei Dinge, die verhindern, dass ich den Titel »König der Hoffnungslosen Idioten« tragen muss, zwei Dinge, die mich, mein Image und mein aktuelles Selbstvertrauen retten:

1. Sport
2. Mädchen

    Ich bin eine Kanone im Hockey, das war schon immer so. Logisch kann ich das nicht erklären, aber vielleicht hat es wieder etwas mit der Lust zu

Weitere Kostenlose Bücher