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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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Auf mich selbst gestellt.

Auf mich selbst gestellt

    (1985, Herbst) Ich wohne zur Untermiete in einem größeren Reihenhaus in einem älteren, etwas schickeren Teil von Oslo. Die Häuser erinnern ein wenig an alte englische Reihenhäuser, die Dame, die mir das Zimmer vermietet, erinnert an ältere englische Damen. Alles ist so klein, so winzig klein, als würde man in einem Puppenhaus wohnen, mit einer niedlichen Puppendame in der Etage darüber. Die Dame ist nett, weißhaarig, bewegt sich gebeugt, spricht einen etwas schickeren Hauptstadtdialekt. Ich bezahle fünfhundert im Monat. Dafür bekomme ich ein großes Fenster, Gardinen, ein Bettsofa aus den Sechzigerjahren, einen Spiegel, Auslegeware, ein Buchregal mit dem Neuen Testament drin, eine Kommode, kaltes Wasser, eine Toilette, keine Dusche. Das Zimmer, das ich miete, hat ungefähr achtzehn Quadratmeter. Die Wände sind mit einem undefinierbaren Muster tapeziert, rosa Rosen auf braunweißem Grund. Ich glaube, ich mag das Zimmer. Schließlich ist es meine erste Wohnung, das erste Mal, dass ich etwas Eigenes habe. Ich habe eine eigene Kochplatte, und die gibt mir Ideen, ich merke, dass ich mit der Kochplatte spielen möchte – improvisieren, feine Gerichte zubereiten, Wasser kochen, Kaffee machen, Frauen zum Tee einladen, einen Tee ihrer Wahl. Die Kochplatte hat mich achtundneunzig Kronen gekostet, ich habe sie ganz hinten im Einkaufszentrum gefunden, in der Abteilung, wo feine Leute ihre feinen Sachen kaufen, so zum Beispiel eine einzelne Kochplatte von Electrolux.

    Ich habe eine große Pappkiste mit Kleidern dabei. Es heißt, Kleider würden sich in Pappe am besten halten. In der Kiste ist alles, was ich brauche – zusätzliche Unterhosen, Pullover, Hosen, Jacken, Hemden. Ich habe sogar die ziemlich elegante Ledertasche meines Vaters ausleihen dürfen. Natürlich ist es falsches Leder, aber für das ungeübte Auge sieht sie echt aus. In diese Tasche habe ich all das andere getan, was ich noch brauche – Strümpfe, Schuhe, den langen Eisenbahnermantel meines Großvaters, Stifte und Papier. Ein paar Bücher habe ich auch dabei: Arthur Omre, »Peer Gynt«, Tennessee Williams, und dazu einen ganzen Stapel Musikzeitschriften und Exemplare des Underground Fanzine , die ich am Hauptbahnhof gekauft habe. Und ich habe sogar das Lehrbuch »Tontechnik Grundkurs 1 und 2« dabei. Ich bin für die Nationale Tontechnikerausbildung eingeschrieben. Sie dauert drei Jahre, doch schon nach einem halben Jahr kann man wählen, ob man sich auf Musikproduktion oder Radioproduktion spezialisieren will. Ich habe schon beschlossen, dass ich Radioproduktion wählen werde, denn da gibt es sowohl Jobs als auch Geld. In der Musiksparte gibt es vor allem Geld, aber keine Jobs. Das spricht zwar niemand laut aus, aber alle wissen doch, dass in der Musiktontechnik die Kunst des Raubkopierens wichtiger ist als echtes Können. Meine Erfahrungen aus der Radioproduktion bei der Armee und ein Anschreiben, in dem ich meine Motivation darlege, haben mir zu dem Ausbildungsplatz verholfen. Wir sollten auch unsere Zeugnisse beilegen, was ich vorgezogen habe zu vergessen. Ich schrieb, »Zeugnisse können bei Interesse nachgesandt werden«, darum wurde aber nie gebeten. In drei Wochen beginnt die Ausbildung, die übrigens abends stattfindet. Tagsüber werde ich mir eine Arbeit suchen, um mir ein Auskommen zu verschaffen und meine Ausbildung selbst zu bezahlen. Meine Eltern haben sich bereit erklärt, alles zu finanzieren, zumindest im ersten halben Jahr, bis ich Fuß gefasst habe, und damit ich mir keine Geldsorgen machen muss, was leicht Zwangsgedanken auslösen kann. Aber ich will selbst Geld verdienen. Arbeiten. Yes Sir . Meine Eltern stehen meiner Berufswahl verhalten positiv gegenüber, natürlich hoffen sie, dass die neue Umgebung und die neuen Menschen mich beruhigen, meine Konzentration festigen und mein Selbstvertrauen stärken werden. Ich hoffe das auch. Ich denke oft, dass ich das hoffe. Also hoffe ich es.

    Ich mache die Ledertasche auf und suche darin herum. Versuche, die richtigen Dinge zu finden, leere den ganzen Inhalt auf den Fußboden. Etwas erstaunt entdecke ich eine kleine durchsichtige Plastiktüte mit massenhaft Tabletten drin. Runde weiße Tabletten. Die scheinen ziemlich alt zu sein, der Name und das aufgedruckte Symbol auf den Tabletten sind fast verschwunden, es ist, als hätten sie im Wasser gelegen oder wären durch Feuchtigkeit kaputt gegangen. Ich denke mir, dass es Papas

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