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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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beeinflussen mein Gehirn, besänftigen den Zwang und die Tics und machen mich wieder arbeitsfähig. In sechs Stunden muss ich mindestens dreimal am Marzipan riechen und davon probieren. Ich schmuggele sogar Marzipan aus der Fabrik und nehme es abends mit in die Schule. Wenn ich ein Zucken im Körper verspüre oder merke, dass die Zwangsgedanken kommen, dann stecke ich die Hand in die Tasche und ziehe ein Marzipanstück heraus, an dem ich schnüffele und es dann langsam aufesse, vier Bisse, viermal. Das Marzipan funktioniert sowohl als Lebensretter wie auch als Dessert.

    Ich merke, dass Johansen, einer der Typen vom Büro, immer öfter am Lager 1 vorbeikommt. Er sieht mich an, tut aber so, als würde er die Gummitür anschauen. Nach einer Minute ungefähr fährt er mit seiner Inspektionsrunde fort, ohne ein einziges Wort gesagt zu haben. Ein paar Tage später werde ich angewiesen, nach dem Essen in das Büro von Inspektionschef Johansen zu kommen.

    Nach dem Essen. Das Büro von Johansen.

    Das Büro liegt im vierten Stock, im Herzen der Fabrik. An der Tür steht. Inspektionschef Johansen, Sektor 1.

    Johansen telefoniert. Er sitzt auf dem Schreibtisch und winkt mich ganz forsch herein, so wie Gene Hackman in The Pretender den Kommunisten reinwinkt. Johansen ist klein und ziemlich dünn. Das Erstaunliche ist nur, dass sein Kopf so unglaublich viel größer wirkt als der Hals. Als wäre es nicht sein Kopf, sondern als hätte man den Originalkopf gegen eine Riesenmelone ausgetauscht. Außerdem hat er auf der neuen Melone ziemlich wenig Haare, aber das scheint ihm egal zu sein, dabei ist er nur ein paar Jahre älter als ich. Er erinnert mich an einen Nachrichtensprecher, ich weiß aber nicht, an welchen. Die Kopfgröße fasziniert mich so sehr, dass ich vergesse darüber nachzudenken, warum ich eigentlich hier bin, im Büro des Inspektionschefs. Einem ganz gewöhnlichen Produktionsinspektionschefbüro. Schreibtisch, elektrische rote Schreibmaschine, Diplom an der Wand, Fernseher mit dazugehörigem Videogerät. Auf dem Fußboden steht ein hellgrüner Plastikkaktus, direkt am Fenster. Das soll sicher ein Witz sein, eine Art Witzgeschenk, vielleicht von einem Polterabend oder einem Weihnachtsfest oder einem Fußballturnier, also, auf jeden Fall ein Witz.

    Als er fertig geredet hat, geht er zum Videogerät und schaltet es ein. Fernseher und Video gehen gleichzeitig an. Er sieht aus dem Fenster, scheint aber weiter mit mir zu reden:

    »Wir alle, die wir hier arbeiten, haben unsere Hobbys und Interessen in der Freizeit.«

    »Schon …«

    »Das wissen wir.«

    »Was wissen Sie?«

    »Wir wissen, was du magst. Und was du in deiner Freizeit machst, spielt wie gesagt keine Rolle, aber an einem Arbeitsplatz wie diesem, einem Arbeitsplatz, der viel von einem fordert, können wir nicht zulassen, dass die Angestellten ihren Hobbys nachgehen anstatt zu arbeiten. Oder?«

    »Ganz meine Meinung.«

    »Somit ist also dein offensichtliches Interesse für Theater und Tanz vollkommen in Ordnung, wenn du es nur zu Hause betreibst.«

    »Tanz …?«

    »Nenne es, wie du willst, Tai Chi, Yoga, Tanz, was auch immer, aber mach es nicht hier bei der Arbeit.«

    »Ich weiß nicht genau, was Sie meinen.«

    »Ich fände es besser, wenn du es zugeben würdest, anstatt hier den Unschuldigen zu spielen.«

    »Ich spiele nicht.«

    »Ehrlich gesagt, haben wir weder Zeit noch Platz für Angestellte, die während der Arbeitszeit tanzen, stehlen und außerdem noch den Unschuldigen spielen …«

    »Tanzen?«

    »Dies ist eine Fabrik, deren Ruf, ein solidarischer Arbeitgeber zu sein, nicht vom unpassenden Verhalten eines Praktikanten beschmutzt werden darf. Wie ich gehört habe, bist du außerdem auch nicht in der Gewerkschaft, auch wenn das für uns, die mit dem hier ihr Brot verdienen, etwas verletzend ist. Wie ich gehört habe, hast du auch nicht die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft beantragt. Außerdem habe ich dich mit Dieter reden sehen, dem wirklichen Theateraffen dieser Fabrik, aber er ist zumindest in der Gewerkschaft.«

    »Wovon zum Teufel reden Sie?«

    »Wovon zum Teufel rede ich?«

    Johansen schaltet den Videorecorder ein, und ein paar Sekunden später verstehe ich, wovon er redet. Ich begreife sofort, dass er eine Sequenz von einer Überwachungskamera zeigt – aus Lager 1. Ganz unten im Bild ist diese Uhr und die Zeitangabe. Ich kann sehen, dass es von voriger Woche ist, vom Mittwoch. Und es zuckt in meinem Körper, ich schwitze und

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