Herrchenglück: Vom Chaos auf acht Pfoten
müsst und er nicht mehr eigenständig Extremitäten amputiert. Alle Beutesituationen, so gut es geht, vermeiden. Falls er doch etwas erwischt, abrufen. Wenn er nicht kommt, holt ihr ihn am Leinchen zu euch. So wie ich den einschätze, hört er mit Fauchen auf, sobald er einen Meter von seiner Beute weg ist. Der will es zwar wissen, aber er zieht es nicht bis zum Ende durch. Da kenne ich ganz andere Kandidaten. Wenn ihr das nächste Mal kommt, ist mir dazu etwas eingefallen.«
Während Birgit über Lösungen grübelt, absolvieren wir zwei denkwürdige Wochen.
Auf dem Jaberg ziehe ich Wiki am Schwanz aus einem Karnickelbau. Was zum Vorschein kommt, erinnert nicht an Wiki, sondern an Stephen Kings Friedhof der Kuscheltiere, genauer gesagt an Winston Churchill, genannt Church. So heißt das höllenböse Katerding, das vom Laster überfahren wird und sich auf dem indianischen Friedhof selbst ausgräbt, nachdem es dort mausetot beerdigt wurde. Aus einem dreckverklumpten Gesicht starren mich glühende runde Augen an, der Kopf besteht nur aus blutrotem Zahnfleisch und schneeweißen Zähnen. Dazu ein Fauchen, Zischen und Knarren wie ein Presslufthammer.
So aggressiv habe ich den kleinen Kerl bisher nie erlebt. Als wäre er nicht bei Sinnen. In dieser Verfassung scheut er sich auch nicht, seine Angehörigen zu tackern.
Im Haus macht er mittlerweile kaum noch Beute. Na gut, denkt der Wahnsinnsknabe, dann bewache ich halt ein Zimmer, in dem ich früher einmal Beute gemacht habe. Spricht’s, hockt sich in den Flur und knurrt die Familie an.
In Wikis straffem Wirtanzendemrudelnichtmehraufdernaseherumprogramm ist das Hausleinchen sein stetiger Begleiter. Damit kann ich ihn freundlich aus seinen Church-Anfällen herauszuppeln, ohne ihm an den Kragen gehen oder mich bedrohlich über ihn beugen zu müssen.
Zuppeln wirkt wie ein Schalter.
Zuppzupp – Knurren aus. Schon kommt er selig angehüpft.
Liebes Lieschen, der ist vielleicht froh, dass er nicht kämpfen muss.
Und ich, dass alle Finger noch dran sind.
Wikis erste Hausleine ist aus Restbeständen gefertigt und nur siebenundneunzig Zentimeter lang. Ein Schuss in den Ofen. Wiki nimmt das Leinenende ins Maul, findet, dass es eine prima Beute ist, und beginnt, es mit vollem Körpereinsatz zu verteidigen.
Das zweite Leinchen ist eine drei Meter lange Nylonschnur, leider zu dünn. Sie schurbelt eine Woche um die Ecken und ist dann durchgewetzt.
Leinchen drei besteht aus vier Meter drahtverstärkter Wäscheleine. Wiki piddelt einfach die Plastikschicht vom Draht und verteilt sie im Haus.
Seither trägt der junge Mann schmuckes Segeltau.
»Na, wie ist es euch die letzten beiden Wochen ergangen?«, will Birgit wissen.
»Durchwachsen«, stöhne ich. »He! Moment mal!!! «
Wiki ist in einem Affenzahn unterwegs zu den Kaninchen.
»Hol ihn mal da weg«, sagt Birgit.
Ich gehe auf Wiki zu. Als ich beim Kaninchenstall bin, dreht sich der Saubatz fauchend um und attackiert meinen Schuh. Ich spüre trotz des dicken Yakleders seine Zähne an meinem Fuß.
»Holla!«, sagt Birgit. »Der geht ja richtig nach vorn. Das sieht aus, als wäre mit dem mal im Wehrtrieb gearbeitet worden.«
»Wie denn? Die Familie, in der er vorher war, wusste ja nicht mal, dass es so etwas wie Schutzdienst gibt.«
»Nö. Aber die haben ihn im Haus angebunden. Das reicht doch schon. So einen Scheiß kannst du durchaus auch unbewusst anrichten. Indem du ihn an die Heizung knotest und ihn unabsichtlich bedrohst. Du brauchst dich nur über ihn zu beugen oder ihm den Napf oder sonstige Sachen wegzunehmen. Er spürt, dass er nicht so ausweichen kann, wie er es möchte. Also greift er an. Vergiss die Terriergene nicht. Die sind allemal für solche Attacken gut.«
»Und wie kriegen wir das wieder raus?«
»Entweder auf die ganz sanfte Weise mit viel Geduld …«
»Wie lange dauert das denn? Zu Hause haben mittlerweile alle Schiss, wenn der seine Anfälle kriegt. Noch einen Biss können wir nicht gebrauchen.«
»… oder mit einem kurzen Gong, bei dem er auf Anhieb ganz viel begreift. Du darfst aber nicht zimperlich sein, sonst kannst du es gleich vergessen.«
Ich denke an Luna, die immer voll reinhaut und auf Anhieb von Wiki verstanden wird. Ich denke an Wiki, der absolut unzimperlich und kompromisslos seine Butterinteressen gegenüber Stella vertritt. Ich denke an die vier blutigen Löcher in Stellas Hand.
»Okay«, sage ich. »Gong.«
»Gut«, sagt Birgit. »Eine Dose Pils für den jungen
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