Herrchenjahre
vierzig Jahre jünger. Damals wurden wir Kinder auch mit derben Ammenmärchen gefügig gemacht. Von Kaugummi kauen kriege man Magenkrebs, hieß es, weil die Magensäure innen gegen die Magenwand schlage, und übermäßiges Gähnen renke den Kiefer aus. Lesen im Dunkeln mache die Augen kaputt. Die ganz
Hartgesottenen unter uns erfuhren auch noch, dass beim Grimassenschneiden die Fratze stehenbleibe und beim Schielen das Auge – aber nur, wenn in dem Moment eine Glocke läutet.
Das hat damals prima funktioniert. Vielleicht sollte ich diese Methode wieder einführen. Statt Aus, Nein, Sitz oder Pfui heißt es dann: »Lass das Pöbeln, sonst kriegst du rosa Füße, die später amputiert werden müssen.«
Was Lunas soziale Defizite angeht, ist sich die Fachwelt wie immer uneins. Während der eine Krause körperliche Auslastung propagiert, sieht der andere mangelnde geistige Bewegung als Ursache des Fehlverhaltens. Man nehme umgehend Kopfarbeit ins Erziehungsportfolio auf, predigt er. Mit regelmäßig veranstalteten Intelligenz-, Such- und Stöberspielen packe man das Pöbelübel an der Wurzel.
Intelligenzspiele?
Ich bin skeptisch. Ich vermute nämlich, dass Luna nicht gerade zu den hellsten Kerzen auf der Torte gehört. Harry Potter liest sie nicht, sondern zerlegt ihn mit den Zähnen. Der Einwand, sie habe Hagrids Mastino Napoletano zum Fressen gern, lasse ich nicht gelten. Das teure Buch ist reif für die Mülltonne.
Wenn Schnee liegt, werfe ich Schneebälle, die sich nach dem Aufprall auf der Schneewiese unauffindbar in ihre Moleküle zerlegen. Meine Trine sucht und sucht und guckt dabei immer doofer aus der Wäsche.
Clever ist was anderes.
Zu allem Überfluss umgibt sie sich mit Freunden, deren geistige Schlichtheit, wie ich fürchte, abfärbt. Peppi, eine
leicht suizidgefährdete Jack-Russell-Dame aus unserem entfernteren Bekanntenkreis, apportiert alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Dazu gehören neben dem klassischen Stöckchen auch Fahrradfahrer, Schlitten mit und ohne Kind sowie Silvesterkracher mit glimmender Lunte. An die Raketen kommt sie leider nicht ran, die sind zu weit oben.
Angeschmurgelte Barthaare, ein Pfeifen im Ohr und ein angesengtes Wams gehören bei Peppi zu Silvester wie bei anderen Leuten die knallenden Korken. Vorsichtshalber haben wir zu Hause Böller abgeschafft. Luna ist ebenfalls stöckchenverrückt. Wer weiß, was ihr noch einfällt, nachdem sie mit Peppi gesprochen hat.
Ich will keinen Hund, der mir den Kracher wieder vor die Füße legt, nachdem ich ihn glücklich losgeworden bin.
Was mich ebenfalls ernsthaft an ihrer Intelligenz zweifeln lässt, ist ihre mangelnde Leinenführigkeit.
Seit Jahren arbeiten wir daran.
Leinenführigkeit übt man nach dem Prinzip Hilfe, die Nachbarn halten mich für bekloppt . Sobald der Hund zieht, wechselt man die Richtung. Man läuft pausenlos in Kreisen, Achten oder im Zickzack durchs Viertel und hofft inständig, nicht angesprochen zu werden.
Emmas Herrchen hat das sogar im Düsseldorfer Hauptbahnhof praktiziert. Während er auf seine Frau wartete, eierte er mit seinem kleinen Terriermischling kreuz und quer über Bahnsteig 16. Das ging so lange gut, bis zwei Bahnpolizisten ihn besorgt am Ärmel packten und sich erkundigten, wie viel er denn getrunken habe und ob man ihm helfen könne.
Nach drei Jahren jedenfalls müsste es bei Luna langsam mal Klick machen. Will sagen: Jedes Mal, wenn es Klick macht, ist die kurze Leine am Halsband. Und dann wird nicht losgepanzert wie ein Leopard, sondern ordentlich und automatisch Fuß gegangen. Ohne Kommando. Ohne Zug auf der Leine. Ohne Gehampel.
Klick. Leine. Fuß . Ist das denn so schwer?
Kann das nicht endlich mal sitzen?
Pawlow hat doch seinen Hund auch prima konditioniert. Sobald das Glöckchen bimmelt, sabbert der Hund. Sobald der Karabiner klickt, geht der Hund bei Fuß. Das ist doch dasselbe, verdammt nochmal!
Ist mein Hund konditionierungsresistent?
Zu doof, um mit Geräuschen Handlungen zu verknüpfen?
So dachte ich jedenfalls bis zu jenem Sonntag, als wir am Frühstückstisch ein hartgekochtes Ei aufschlagen, es knisternd pellen und Luna ins Maul stopfen. Wir haben das einmal gemacht. Wir haben einmal (in Zahlen: 1 ×) ein Ei gepellt und dem Hund gegeben. Seither baut sich dieses Rabenaas sofort erwartungsvoll auf, wenn ein Zweibeiner ein Ei pellt.
Doof? Von wegen!
Morgen kriegst du deinen ersten Kong.
Du Intelligenzbestie.
Heute mal was für die Birne
Ein Kong sieht
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