Herren des Wetens
spürte die kalte dumpfe Feuchtigkeit der Erde unter dem Schnee. »Allmählich«, erwiderte er. »Er fühlt sich jetzt allerdings noch ziemlich fest an.«
»Es ist schon fast Mittag, Garion«, sagte Lelldorin ernst und griff nach einem weiteren Pfeil. »Ich weiß, wie überlegt Durnik alles angeht, aber wird es wirklich funktionieren?«
»Es dauert nur eine Weile«, beruhigte Garion ihn. »Erst müssen die unteren Erdschichten durchweichen, dann kann das Wasser zu dem Boden unmittelbar unter der Mauer aufsteigen. So schnell geht das nicht. Es wäre auch schlimm, wenn das Wasser plötzlich aus Kaninchenbauen und Mäuselöchern schösse, denn dann würden die Wachen oben auf der Mauer darauf aufmerksam und wüßten, daß etwas nicht stimmt.«
»Und stell dir erst vor, wie die Kaninchen und Mäuse sich fühlen würden!« Lelldorin grinste und schoß einen vierten Pfeil ab. Sie stapften weiter, und Lelldorin markierte mit täuschendem Gleichmut die restliche Ausgangslinie für den nächtlichen Angriff.
»Na gut«, sagte Garion. »Ich weiß jetzt, daß du deine Pfeile erkennen kannst, aber was ist mit uns? Für mich fühlt sich ein Pfeil wie der andere an!«
»Dafür gibt es eine einfache Lösung«, beruhigte ihn der junge Bogenschütze. »Ich krieche voraus, suche meine Pfeile und verbinde sie mit Schnur. Sobald ihr dagegen stoßt, haltet ihr an und wartet, bis die Mauer einbricht. Dann stürmt ihr los. Auf diese Weise haben wir Jahrhunderte Nachtangriffe gegen mimbratische Häuser in Asturien durchgeführt.«
Im Lauf dieses schneeigen Tages überprüften Garion und Durnik in regelmäßigen Abständen die Bodenfeuchtigkeit unter der Mauer des Nordhangs. »Es dauert nicht mehr lange, dann ist das Erdreich durchtränkt, Garion«, meldete Durnik bei Einbruch der Dunkelheit.
»Am unteren Hang dringt das Wasser stellenweise bereits durch den Schnee.«
»Nur gut, daß es schon dunkel genug ist«, entgegnete Garion und rückte nervös sein Kettenhemd zurecht. In Rüstung, gleich welcher Art, fühlte er sich nicht wohl, und der Gedanke an den bevorste-henden Angriff weckte gemischte Gefühle in ihm, teils Besorgnis, teils Erwartung.
Durnik, sein ältester Freund, blickte ihn voll Verständnis an, das jedes Bemühen durchdrang, seine Gefühle zu verbergen. Er grinste ein wenig schief. »Was machen zwei sendarische Bauernburschen in einem Winterkrieg in Ostdrasnien?«
»Siegen – hoffentlich.«
»Wir werden siegen, Garion«, versicherte ihm Durnik und legte eine Hand auf die Schulter des Jüngeren. »Sendarier gewinnen immer – letzten Endes jedenfalls.«
Etwa eine Stunde vor Mitternacht begann Mandorallen seine Katapulte zu verschieben. Er ließ gerade so viele an der Ost- und Westseite zurück, daß der Beschuß fortgesetzt werden konnte, der ihre eigentliche Absicht vertuschen sollte. Im Lauf der Stunde schlichen Garion, Lelldorin, Durnik und Silk geduckt zu der nicht erkennba-ren Linie von Pfeilen, die aus dem Schnee ragten.
»Hier ist einer!« flüsterte Durnik, als seine ausgestreckte Hand einen Pfeilschaft berührte.
»Warte!« murmelte Lelldorin. »Laß mich ihn betasten!« Er kroch zu dem Schmied, und beide knieten sich in den Matsch. »Ja, das ist einer von meinen, Garion«, erklärte er leise. »Sie sind jeweils etwa zehn Schritt voneinander entfernt.«
Silk schloß sich den beiden rasch an. »Zeig mir, wie du sie erkennst«, wisperte er.
»Hier, an den Federn. Zu ihrer Befestigung benutze ich immer gedrehten Darm.«
Silk betastete den Federansatz. »Gut«, murmelte er. »Jetzt kann ich sie auch von anderen unterscheiden.«
»Bist du sicher?« vergewisserte sich Lelldorin.
»Wenn meine Finger die Augen eines Würfels ertasten können, werden sie doch wohl gerade noch imstande sein, den Unterschied zwischen Darm und Leinengarn zu fühlen!«
»Also gut. Wir fangen hier an.« Lelldorin band ein Schnurende um den Pfeilschaft. »Ich gehe in diese Richtung, du in die andere.«
»Einverstanden.« Auch Silk knüpfte sein Schnurende an. Dann wandte er sich an Garion und Durnik. »Tut des Guten nicht zuviel mit dem Wasser«, warnte er. »Es würde mir gar keinen Spaß machen, in einem Schlammrutsch begraben zu werden.« Dann kroch er los und tastete nach dem nächsten Pfeilschaft. Lelldorin legte flüchtig die Hand auf Garions Schulter, ehe er in der entgegengesetzten Richtung verschwand.
»Der Boden ist nun völlig getränkt«, murmelte Durnik. »Wenn wir die Felsspalten jetzt einen Fußbreit öffnen,
Weitere Kostenlose Bücher