Herren des Wetens
hätte.
In Tolnedrien siechte Kaiser Ran Borune XXIII. der Vater der Rivanischen Königin Ce'Nedra, allmählich dahin. Und da er keinen Sohn hatte, der nach ihm den Kaiserthron in Tol Honeth besteigen könnte, herrschte unter den großen Familien des Reiches ein erbit-terter Streit über die Thronfolge. Gewaltige Bestechungssummen wechselten die Hände, und Meuchelmörder schlichen des Nachts durch die Straßen von Tol Honeth, bewaffnet mit scharfen Dolchen oder Fläschchen voll der tödlichen Gifte, die sie heimlich vom Schlangenvolk von Nyissa erstanden hatten. Der schlaue Ran Borune hatte jedoch zum Ärger und zur Empörung der Honeths, der Vordues und der Horbit General Varana, den Herzog von Anadil, zu seinem Regenten ernannt. Und Varana, dessen Befehlsgewalt über die Legionen nahezu absolut war, hatte bereits Maßnahmen gegen die Herrschaftskämpfe der großen Häuser ergriffen. Die Bru-derkriege der Angarakaner und die kaum weniger heftigen Kämpfe der Großherzöge des Tolnedrischen Reiches waren jedoch nur von beiläufigem Interesse für die alornischen Könige. Die Monarchen des Nordens beschäftigte viel mehr die beunruhigende Wiederbelebung des Bärenkultes und die traurige, aber unleugbare Tatsache, daß König Rhodar von Drasnien offenbar rapide der Senilität ver-fiel. Trotz seiner ungeheuren Beleibtheit hatte sich Rhodar in dem Krieg, der zur Schlacht von Thull Mardu geführt hatte, als genialer Stratege erwiesen. Doch nun berichtete Cho-Hag, daß der korpulente drasnische Monarch in den letzten Jahren immer vergeßlicher und in mancherlei Hinsicht sogar kindisch geworden war. Aufgrund seines gewaltigen Gewichts konnte er nicht mehr ohne Hilfe aufrecht stehen, und er schlief häufig zu den unmöglichsten Zeiten ein, selbst während wichtigster Staatshandlungen. Seine schöne junge Königin Porenn tat alles, was in ihrer Macht stand, ihm die Bürden abzunehmen, die seine Krone ihm auferlegte. Doch für alle, die ihn näher kannten, war es offensichtlich, daß König Rhodar nicht mehr lange zu regieren imstande sein würde.
Gegen Ende eines strengen Winters, der den Norden mit mehr Eis und Schnee eindeckte als seit Menschengedenken, schickte Königin Porenn einen Abgesandten ins Tal, mit der Bitte, Polgara möge nach Boktor kommen, um ihre Heilkünste an dem drasnischen König zu versuchen. Der Abgesandte traf an einem bitterkalten Spätnachmittag ein, als die schwache Sonne müde in einem Bett aus purpurnen Wolken über dem Ulgogebirge unterging. Er trug einen dicken Zo-belpelz, doch seine lange spitze Nase ragte aus der warmen Kapuze und verriet ihn sofort.
»Silk!« rief Durnik, als der kleine Drasnier auf dem mit tiefem, aber festgetretenem Schnee bedeckten Vorhof absaß. »Was machst du denn so weit hier unten?«
»Frieren, im Augenblick«, antwortete Silk. »Ich hoffe, ihr habt ein molliges Feuer.«
»Pol!« rief Durnik. »Schau, wer da ist!« Und Polgara öffnete die Tür und spitzte hinaus.
»Hallo, unser Fürst Kheldar!« Sie lächelte dem rattengesichtigen kleinen Mann zu. »Hast du Gar og Nadrak so vollständig ausge-plündert, daß du dir ein neues Revier für deine Raubzüge suchen mußt?«
»Keineswegs.« Der Mann, der sich schlicht Silk nannte, in Wirklichkeit aber einer der mächtigsten Fürsten Drasniens war – und einer der besten Spione –, stampfte mit den halberfrorenen Füßen, um sie zur rascheren Durchblutung anzuregen. »Ich beging den Fehler, auf meinem Weg nach Val Alorn durch Boktor zu reiten. Da überzeugte mich Porenn, daß es meine Pflicht sei, einen kleinen Umweg hierher zu machen.«
»Geh schon ins Haus«, forderte Durnik ihn auf. »Ich kümmere mich um dein Pferd.«
Nachdem Silk seinen Zobel ausgezogen hatte, stellte er sich frierend vor die Feuerstätte und hielt die Hände über die Flammen.
»Mir ist seit über einer Woche nicht mehr gelungen, warm zu werden«, brummte er. »Wo ist Belgarath?«
»Er und Beldin sind irgendwo im Osten unterwegs.« Polgara bereitete für den Halberfrorenen zum Aufwärmen einen gut gewürzten Glühwein.
»Nun, nicht so wichtig, nehme ich an. Ich kam sowieso deinetwegen hierher. Du hast sicher gehört, daß es meinem Onkel nicht gut geht?«
Sie griff nach dem rotglühenden Schürhaken und steckte ihn mit blubberndem Zischen in den Weinkrug. »Ja. Hettar hat uns im Herbst davon berichtet. Haben seine Ärzte bereits einen Namen für seine Krankheit?«
»Altersschwäche«, antwortete Silk schulterzuckend und griff dankbar
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