Herren des Wetens
nach dem Krug.
»Rhodar ist dazu noch nicht alt genug.«
»Er ist viel zu übergewichtig. So was zehrt mit der Zeit an der Gesundheit. Porenn ist verzweifelt. Sie schickt mich, dich zu bitten –
nein, anzuflehen –, nach Boktor zu kommen, um zu sehen, was du tun kannst. Sie läßt dir ausrichten, daß Rhodar die Wildgänse nicht mehr nordwärts fliegen sehen wird, wenn du nicht kommst.«
»Ist es wirklich so schlimm?«
»Ich bin kein Arzt«, entgegnete Silk, »aber er sieht wahrhaftig nicht gut aus, und mit seinem Gedächtnis liegt es sehr im argen. Er verliert sogar den Appetit, und das ist ein schlechtes Zeichen für jemanden, der mit Freude sieben große Mahlzeiten am Tag ver-schlang.«
»Natürlich kommen wir«, versicherte ihm Polgara rasch.
»Darf ich mich wenigstens erst ein bißchen aufwärmen?« bat Silk kläglich.
Südlich von Aldurfurt hielt sie ein Schneesturm aus den sendarischen Bergen, der über die ungeschützten Ebenen Nordalgariens tobte, mehrere Tage auf. Sie hatten jedoch Glück und stießen, gerade als der Sturm losging, auf ein Lager von Nomadenhirten und verbrachten die Tage kreischenden Windes und peitschenden Schnees in den heimeligen Wagen der gastfreundlichen Algarier. Als das Wetter sich endlich beruhigte, zogen sie weiter und überquerten bei Aldurfurt den Fluß. So erreichten sie den breiten Dammweg, der über die schneebedeckten Moore nach Boktor führte.
Königin Porenn, schön trotz der dunklen Ringe unter den Augen, die beredter als Worte von ihrer schlafraubenden Sorge sprachen, begrüßte sie am Tor von König Rhodars Schloß. »O Polgara!« rief sie überwältigt von Dankbarkeit und Erleichterung, als sie die Zauberin umarmte.
»Liebe Porenn«, sagte Polgara und legte ihrerseits die Arme um die sorgengequälte kleine Königin. »Wir wären schon eher hier, wenn uns nicht ein Schneesturm aufgehalten hätte. Wie geht es Rhodar?«
»Er wird von Tag zu Tag ein bißchen schwächer«, antwortete Porenn, und Trostlosigkeit schwang aus ihrer Stimme. »Sogar Kheva ermüdet ihn jetzt.«
»Euer Sohn?«
Porenn nickte. »Der nächste König von Drasnien. Aber er ist erst sechs – viel zu jung, den Thron zu besteigen.«
»Wir wollen sehen, was wir tun können, um das hinaus-
zuschieben.«
König Rhodar sah jedoch sogar noch schlimmer aus, als Silks Beschreibung seines Zustand sie hatte schließen lassen. Botschaft erinnerte sich an den König von Drasnien als an einen fetten, fröhlichen Mann mit viel Witz und schier unerschöpflicher Energie. Nun war er lustlos, und seine jetzt fahlgraue Haut hing in Falten an ihm herunter. Er vermochte sich nicht aufzurichten, doch vielleicht noch ernster war die Tatsache, daß er sich nicht niederlegen konnte, ohne daß sein Atem als schmerzhaftes Keuchen kam. Seine Stimme, mit der er einst eine schlafende Armee hätte wecken können, war kaum noch mehr als ein Flüstern. Er begrüßte sie mit einem müden Lä-
cheln und schlief bereits nach wenigen Minuten mitten im Gespräch ein.
»Ich muß mit ihm allein sein«, erklärte Polgara den andern mit fester Stimme, doch der rasche Blick, den sie mit Silk wechselte, verriet, daß sie wenig Hoffnung auf eine Heilung des siechen Monarchen hatte.
Als sie schließlich aus Rhodars Gemach trat, war ihre Miene sehr ernst.
Porenn blickte ihr mit furchtsamen Augen entgegen. »Nun?«
»Ich werde offen sein«, sagte Polgara. »Wir kennen einander schon zu lange, als daß ich Euch die Wahrheit verheimlichen möch-te. Ich kann ihm das Atmen erleichtern und seine Schmerzen lin-dern. Es gibt auch Mittel, die ihn wacher machen – für eine kurze Weile –, aber wir müssen sie sparsam anwenden, am besten nur, wenn wichtige Entscheidungen zu treffen sind.«
»Aber Ihr könnt ihn nicht heilen.« Porenns Stimme zitterte am Rand des Weinens.
»Es ist kein Zustand, der heilbar ist, Porenn. Sein Körper ist ver-braucht. Immer wieder habe ich ihn gewarnt, daß er sich zu Tode ißt. Er wiegt soviel wie drei normale Männer. Ein Menschenherz ist für ein solches Gewicht nicht geschaffen. Er hatte in den letzten Jahren kaum wirkliche Bewegung, und seine Ernährung war die ver-kehrteste, für die er sich hätte entscheiden können.«
»Könntet Ihr ihm mit Zauberei helfen?« fragte die drasnische Kö-
nigin verzweifelt.
»Porenn, ich müßte ihn von Grund auf erneuern. Nichts an ihm arbeitet noch richtig. Nein, Zauberei kann da nicht mehr helfen. Tut mir leid.«
Zwei große Tränen entquollen Porenns Augen.
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