Herrengedeck
irgendwie verprügelt aus. Was natürlich daran liegt, dass sie es wirklich sind. Denn offenbar hat Andy doch noch etwas abbekommen, was nur gerecht ist. Schlägerei plus drei Promille - da sieht man schon mal aus wie Rocky Balboa nach einem Titelkampf.
Andy, dessen gute Laune unverwüstlich ist, grinst und sagt: »Wir machen gleich einen schönen Spaziergang, frühstücken ordentlich, und dann wird das schon wieder. Das Wichtigste ist erst einmal, dass du ein paar Klamotten bekommst. Bevor wir wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses einkassiert werden.«
Ich winke ab und wanke in den Schober zurück. Verteilt im ganzen Raum finde ich den größten Teil meiner Kleidung.
Während ich mich anziehe, kehren einzelne Erinnerungsfetzen an die letzte Nacht in meinem Kopf zurück. Da war Marion, ich und eine Flasche Doppelkorn. Und da war der Moment, in dem sie sich gegen die Stirn schlug und sagte: »Wir müssen’s gar nicht auf’m Acker treiben. Wir können ja ins Heu.«
»Hättest du das nicht vor’ner halben Stunde sagen können? Jetzt bin ich schon total zerstochen von den ganzen Mücken.«
»Sei nicht so zimperlich. Schließlich wirst du dafür reichlich entschädigt.«
Sie hatte Recht, denn was folgte, war wüst und leidenschaftlich, wie das Landleben nun einmal ist. Sie schrie so laut, dass die Bauern in der Umgebung bestimmt dachten, ihre Sauen würden werfen.
Danach war ich allerdings endgültig tot. Erst Alkohol, dann Prügel, und dann auch noch Sex. Das schafft ja wohl jeden. Marion tätschelte mir die Wange und sagte: »Für einen aus der Stadt war das nicht schlecht. Ich gehe jetzt nach Hause, denn morgen früh kommt mein Mann von der Montage, und der will dann bestimmt auch noch mal. Also, schlaf schön, mein Großer.«
Den Jungs sage ich übrigens nichts von der ganzen Sache. Gibt keinen Grund dafür. Denn Marion kommt als Kandidatin für den Katja-Plan sowieso nicht in Frage. Trotzdem war die Nacht alles andere als umsonst. Denn wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich so gut wie lange nicht mehr.
12:15 Uhr: Haben dick gefrühstückt und machen dann einen Spaziergang zum Parkplatz vor dem Festzelt. Dort trifft
mich der Schlag, denn ich muss leider feststellen, dass die Vollpfosten von gestern nicht nur uns belästigt haben, sondern auch gleich den kleinen, unschuldigen Targa. Eingetretene Scheinwerfer, Beulen, Kratzer, ein platter Reifen.
»Das darf doch wohl nicht wahr sein«, schreie ich, und zwar so laut, dass es vermutlich noch im nahen Luxemburg zu hören ist.
»Wieso?«, fragt Andy. »Ist kein Ersatzreifen da?«
»Mann, Andy, sieh doch hin!«
Andy schüttelt grinsend den Kopf. »Ist doch nicht dein Wagen. Ist doch nur für eine Probefahrt übers Wochenende. Hast du jedenfalls gesagt. Wo ist also das Problem?«
Bernd legt mir eine Hand auf die Schulter und sagt das, was er meistens von sich gibt, wenn Andy Ähnliches sagt: »Ich wäre zwar nicht draufgekommen. Aber Andy hat Recht.«
»Euren Optimismus will ich haben.«
»Kein Problem. Nimm ihn dir einfach.«
Ich blicke Andy an, dann Bernd. Und plötzlich bin ich um eine Erkenntnis reicher. Andy hat nämlich Recht, wenn er mich dazu auffordert, mir den Optimismus einfach zu nehmen. Ich glaube, was er damit sagen will, ist, dass ich nicht so viel herumgrübeln sollte. Und dass ich es mir nicht unnötig schwermachen sollte. Glück und Unglück sind nämlich in erster Linie eine Frage der Einstellung. Und ich glaube, in dieser Hinsicht kann ich mir von Andy wirklich eine Scheibe abschneiden.
»Habe ich euch zwei eigentlich schon mal gesagt, dass ich euch liebe?«, frage ich Bernd und Andy.
»Ist das dein Coming-out, Alter?«
»Oder gar ein Antrag?«
»Nein, ist einfach nur die Wahrheit. Und jetzt, Andy, mach dich an die Arbeit und wechsle den Reifen. Ich muss mich schonen, weil ich ja gleich die ganze Strecke fahren muss.«
Abends: Ich sage ein Onlinedate ab, weil ich für dieses Wochenende einfach genug erlebt habe. Außerdem bin ich immer noch in dieser seltsam guten Laune, die ich schon heute Morgen hatte. Die will ich mir auf keinen Fall durch ein möglicherweise blödes Date zerstören lassen.
Die Sache mit Marion ist natürlich der Hauptgrund für die ganzen Glückshormone in meinem Blut. Sex ist nun einmal das beste Antidepressivum, das es gibt. Und offenbar wirken ungewohnte Präparate - genannt Marion - noch viel besser. Erst jetzt wird mir so richtig klar, was vergangene Nacht eigentlich passiert ist. Ich hatte
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