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Herrengedeck

Herrengedeck

Titel: Herrengedeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Tamm
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über den Frisierspiegel hinweg an, während die Marlboro zwischen ihren Lippen runterkokelt. Dann sagt sie: »Ist was passiert? Haste Stress mit dat Katja? Wo ist die überhaupt? War am Samstag gar nicht da. Und die Woche vorher auch nicht.«

    Jetzt muss ich mich entscheiden. Wenn ich ihr die Wahrheit sage, weiß innerhalb von drei Tagen ganz Köln, was Sache ist, weil Janine eine Art Einmann-Presseagentur ist, die mehr Kunden erreicht als das Internet. Besser also Klappe halten.
    »Nee, Janine. Alles in Ordnung. Katja ist zu ihrer Cousine gefahren, weil der Sohn der Putzfrau ihrer Mutter Brustkrebs hat.«
    Janine sieht mich misstrauisch an: »Was denn? Der Sohn hät Brustkrebs?«
    »Ich meine Vorhautverengung. Ist ja auch egal.«
    Janine sagt eine Weile gar nichts, was ich als Erfolg verbuche. Dann: »Ich mach stufig und oben kurz, und dann gel ich dir das hin, okay?«
    »Super.«
     
    18:35 Uhr: Mein unauffälliger Kurzhaarschnitt ist weg, und dafür habe ich jetzt eine hochgegelte Stachelfrisur à la Effe, als der frisch verknallt in die Strunz war. Gar nicht schlecht. Meine Ausstrahlung schwankt zwischen Karibik-Urlauber und Retro-Popper, und damit signalisiere ich jeder Frau, dass ich jederzeit für spontanen Sex zu haben bin. Katja hätte zu meinem neuen Look gesagt: »Das bist du nicht, Stefan.« Aber erstens kommt es darauf im Moment nicht an und zweitens finde ich, dass ich das sehr wohl bin.
     
    23:05 Uhr: Verbringe den Abend damit, mich auf morgen zu freuen.
     
    1:46 Uhr: Kann nicht schlafen. Liegt aber nicht daran, dass ich an Katja denken muss. Muss ich nicht. Dafür an Birgit.

27. Tag: Donnerstag
    8:45 Uhr: Bevor ich aus dem Haus gehe, stelle ich mich im Bad auf die neue Waage. Einhunderteins Komma fünf Kilo. Immer noch zu viel. Macht aber nichts. Bin nämlich ein toller Typ, der von tollen Frauen gewollt wird. Außerdem werde ich die überflüssigen Pfunde heute noch los. Zum Beispiel durch Sex. Sex mit Birgit Traumfrau Schäfer.
     
    9:32 Uhr: Im Büro. Als ich aus dem Fahrstuhl trete, denke ich, ich habe mich in der Etage geirrt. Im Raum herrscht ein ohrenbetäubendes Gekläffe und Gewinsel. Überall tollen Hunde herum, vom einfachen Mops bis zum Bill-Kaulitzmäßig gestylten Edelpinscher. Ich bleibe kopfschüttelnd stehen und versuche mich zu entscheiden, an wessen Verstand ich zweifeln soll: an meinem oder dem meiner Kollegen?
    Auf der anderen Seite der Etage öffnet sich die Tür zum Chefzimmer. Birgit kommt mit Unterlagen heraus und schreitet auf gewohnt grazile Art zwischen den Schreibtischen entlang. Auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz sprechen sie die meisten der Kollegen mit betont sachlicher Stimme an. »Sieh mal, Birgit. Mein neuer Chihuahua. Was meinst du, wollen wir ihn mal zusammen Gassi führen?«

    »Hallo Birgit, kennst du schon Louis, meinen Papillon? Ist der nicht niedlich? Allein diese Ohren! Willst du seine neue Hundemutti werden?«
    »Guten Morgen, Birgit. Das ist Roger, mein Pitbull-Baby. Roger und ich wollten heute Abend italienisch essen gehen. Hast du Lust mitzukommen?«
    Birgit ignoriert sie alle. Sie bleibt vor ihrem Schreibtisch stehen, dreht sich dann aber doch noch einmal um und sagt laut in den Raum: »Tut mir leid, Jungs. Aber mein Hundeherz ist leider schon besetzt. Adam hat es erobert. Also gebt eure Vierbeiner wieder zurück zu Rent-a-Dog oder wo immer ihr sie herhabt. Trotzdem, netter Versuch.«
    Daraufhin setzt sie sich an ihren Schreibtisch und vertieft sich in ihre Unterlagen. Meine Kollegen starren ungläubig in meine Richtung und machen dann gehässige Bemerkungen über meine neue Frisur. Das ist allerdings nichts im Vergleich zu ihren Kötern, die die Zähne fletschen und mich anknurren, so als wenn sie genau wüssten, dass ich ihren Herrchen einen Strich durch die Rechnung gemacht habe. Ich bedaure fast, dass ich nicht einen von diesen unförmigen Vollgummi-Schutzanzügen trage, mit denen die Polizei ihren Einsatzhunden das Stellen flüchtiger Verbrecher beibringt.
     
    14:45 Uhr: Kann eine gewisse Nervosität wegen heute Abend nicht verleugnen. Lenke mich mit mehreren Partien Solitaire ab, aber selbst darauf kann ich mich nicht konzentrieren. Mache früh Feierabend. So gegen drei Uhr. Zwischendurch Anruf von Andy, der wissen möchte, wie ich mich fühle.
    »Wie ein Marathonläufer bei Kilometer dreiunddreißig«, antworte ich.

    »Ist das gut oder schlecht?«
    »Beides. Man ist fast am Ziel, aber man glaubt dennoch, keinen weiteren Schritt mehr machen

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