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Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Titel: Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Henner Hess
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ihr jede Erinnerung, wie sie in das Zimmer ihres Exmannes gekommen war. Was hatte der überhaupt in diesem Hotel verloren? Beunruhigenderweise konnte sie ihr Kostüm nirgends finden. War sie etwa halbnackt durch das Hotel gerannt? Wie eine Römerin ins Laken gewandet, erreichte sie den Flur, sprach eine weibliche Servicekraft an, die nach einer kurzen Erläuterung und einigen Drohungen die Tür zu ihrem Zimmer öffnete, wo sie sich immerhin ausweisen konnte.
    Leider blieb ihr Kostüm auch nachdem sie ihr komplettes Zimmer auf den Kopf gestellt hatte weiterhin verschollen. Wenn Opfer von Straftaten, Zeugen oder besonders Täter sich auf rauschbedingte Erinnerungslücken zurückzogen, dann hatte sie das bislang meistens für Schutzbehauptungen gehalten. Denn bis gestern hätte sie nie geglaubt, dass ein Mensch überhaupt so viel trinken konnte, ohne k. o. zu gehen oder sich mindestens zu übergeben. In der Hinsicht musste sie ihr Weltbild jetzt revidieren.
    Die Oberstaatsanwältin stellte sich unter die Dusche und schrubbte ihren Körper ab, erst mit heißem Wasser, dann mit kaltem. Das frische Wasser war gut gegen die Kopfschmerzen, und mit deren Zurückweichen setzte langsam auch ihr Erinnerungsvermögen wieder ein. Schemenhaft konnte sie rekonstruieren, wie sie die Bar verlassen hatte, durch das Hotel geirrt und schließlich in die Orgie in der Suite des Landrats geplatzt war. Und dann? Hier setzte der Filmriss ein. Was zum Kuckuck hatte sie halbnackt im Zimmer ihres Exmannes zu suchen gehabt?
    Es klopfte an ihre Zimmertür. Im Bademantel nahm die Oberstaatsanwältin ihr sorgfältig auf einen Bügel gehängtes und in Folie gewickeltes Kostüm entgegen. Auch ihre Bluse war dabei. Sie fragte die Hotelangestellte, wo man das Kostüm gefunden hatte, aber das wusste die auch nicht.
    In einer Seitentasche ihrer Kostümjacke fand sie immerhin einen Zettel mit einem Hinweis: »Grüße von Spiderman an Catwomen!« Unterschrift: PK . Das hieß zweifelsohne Peter Kminikowski. Die Sache wurde immer verworrener. Eilig zog sich die Oberstaatsanwältin an. Dann ging sie entschlossenen Schrittes zur Johann-Wolfgang-Goethe-Suite, geradewegs dorthin, wo ihre vorläufige Erinnerung endete, und pochte energisch an die Tür.
    Einige Sekunden später öffnete der Landrat. Irritierenderweise war er völlig nackt.
    »Ah, die Fassadenkletterin«, begrüßte er die Oberstaatsanwältin lächelnd. »Ich war gerade unter der Dusche.«
    »Ich auch«, erklärte die Gundelwein. »Aber ich habe mich danach wieder angezogen.«
    Der Landrat zuckte mit den Schultern.
    »Als ich Sie das letzte Mal gesehen habe, hatten Sie auch nicht viel mehr am Leib.«
    Die Oberstaatsanwältin erstarrte. »Erklären Sie mir augenblicklich, was hier heute Nacht vorgefallen ist, oder ich lasse Sie verhaften!«
    »Tun Sie sich keinen Zwang an!« Kminikowski sah sie keineswegs verängstigt an, eher amüsiert.
    »Es liegt der Anfangsverdacht vor, dass ich in Ihrer Suite sexuell genötigt wurde!«
    Der Landrat blickte sie mit echter Überraschung an, dann brach er in herzliches Lachen aus.
    »Das wüsste ich aber!«
    Er lächelte selbstsicher. Zu selbstsicher!
    »Wollen Sie sich nicht mal was überziehen?«, erkundigte sich die Oberstaatsanwältin leicht pikiert.
    »In meiner Suite kann ich doch so rumlaufen, wie ich will. Artikel 13 Grundgesetz, wenn ich mich recht erinnere. «
    Der Kminikowski grinste ihr offen ins Gesicht. Die Situation war unwürdig, komplett unwürdig. Doch die Oberstaatsanwältin sah ein, dass sie mit Drohungen nicht weiterkam.
    »Bitte schildern Sie mir, was gestern Abend passiert ist«, bat sie, ihre Gefühle mühsam beherrschend. Seit ihrer Scheidung hatte sie sich nicht mehr so erniedrigt gefühlt. Der Landrat blickte sie forschend an. Dann zeigte er sein freundlichstes Hyänenlächeln und fragte: »Haben Sie schon gefrühstückt?«
    Der Fickel ist von Natur aus Langschläfer – einerseits erblich bedingt, andererseits irgendwo auch durch sozial verfestigtes Verhalten. Dies hat sicher auch zu der einmaligen Ansammlung von Fehltagen in der Schule und an der Universität geführt, die seine »Karriere« von Anfang an begleitet haben. Mithin gehört er zu den Millionen von Zeitgenossen, deren Leistungskurve auf folgenschwere Weise nach hinten verschoben ist, sodass sie ihr höchstes Niveau erst irgendwann zu späterer Stunde erreichen, meistens zwischen dem zweiten und dem dritten Feierabendbier.
    Es kann dem Fickel also niemand einen Vorwurf

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