Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
Fuß gesetzt wurden oder in Untersuchungshaft kamen.
In einer Ecke der Zelle hatte sich ein riesenhaft anmutender Kerl zusammengekauert und jammerte vor sich hin.
»Was hat er denn?«, fragte der Kriminalrat.
»Keine Ahnung, er benimmt sich die ganze Zeit schon so merkwürdig.«
»Hey, Sie, stehen Sie doch mal bitte auf, ja?«, sagte Christian forsch zu dem Riesen. Doch der rührte sich nicht.
Christoph stieß ihn leicht mit dem Fuß an. »Haben Sie nicht gehört, was mein Kollege gesagt hat?«, bellte er.
Der Kriminalrat pfiff seine Leute zurück. Sheriff spielen, das konnten sie! Er näherte sich vorsichtig dem Gefangenen, der leise vor sich hin wimmerte, und redete behutsam auf ihn ein. »Wir tun Ihnen nichts. Bleiben Sie ganz ruhig.«
Er stellte fest, dass sich der Hüne mit beiden Händen den Unterleib hielt.
»Haben Sie Bauchschmerzen?«
»Böhh Vau!«, knurrte der Gefangene. Etwas in seinem Gesicht war ungewohnt. Die Stirn fliehend, die Augen zu weit auseinander. Ein irrer, vom Wahnsinn gezeichneter Blick.
»Holen Sie einen Arzt!«, befahl Recknagel seinen Untergebenen.
»Wir können Sie hier doch nicht allein lassen!«, protestierte Christoph.
»Schließen Sie die Zelle von außen zu, ich will mich kurz mit ihm unterhalten.«
Die drei Polizisten sahen sich befremdet an.
»Unterhalten? Der ist doch nicht ganz richtig in der Birne«, bemerkte Christian.
»Du bist auch nicht ganz richtig in der Birne, und trotzdem muss ich mich seit zwei Jahren mit dir unterhalten!«, herrschte der Kriminalrat seinen Mitarbeiter an.
Christian und Christoph trollten sich. Die Polizei ist eine klar hierarchisierte Gesellschaft, in der Zornesausbrüche von Vorgesetzten durchaus normal sind. Der Kriminalrat leistete sich viel zu selten einen, wie er gerade jetzt wieder feststellte. Es war doch insgesamt ein sehr befreiendes Gefühl, einen unfähigen Mitarbeiter zusammenzufalten.
Die Augen des Irren waren ängstlich auf den Kriminalrat gerichtet. Recknagel hatte eine Idee. Er zog aus seiner Tasche eine kleine Stange mit Fruchtkaugummis, die dem Gefangenen abgenommen worden waren. Da strahlte der Hüne plötzlich wie ein Kind, riss dem Recknagel die Kaugummis förmlich aus der Hand und stopfte sich sofort einen in den Mund.
»Hätten wir das auch geklärt«, grummelte der Recknagel zufrieden, klopfte dem Gefangenen auf die Schulter und fragte freundlich: »Wollen wir mal deinem Papa Bescheid sagen?«
Die Oberstaatsanwältin war schon mit der unter ihren Mitarbeitern gefürchteten schlechten Laune auf der Arbeit erschienen. Und das, obwohl das Schwimmbad längst geöffnet hatte! Doch die Stimmung der Gundelwein hatte sich deshalb keineswegs aufgehellt. Sie hatte eine unruhige, von Alpträumen durchzogene Nacht hinter sich. Und jetzt konnte sie sich nicht auf den Haftprüfungstermin vorbereiten, weil diese verdammte Akte verschwunden war.
Die Gundelwein telefonierte sich die Finger wund. Beim Landgericht sagte man ihr, dass die Akte noch nicht angekommen sei, die Kollegen bei der Staatsanwaltschaft schworen Stein und Bein, dass sie sie dorthin geschickt hatten, und die von der Polizei wussten wieder mal von gar nichts. Da war es ein Glück, dass der Ermittlungsrichter Leonhard von unterwegs anrief und den Termin um zwei Stunden nach hinten verlegte, weil auf der A71 mal wieder gar nichts mehr ging. Ein apokalyptischer Stau an der Thüringisch-Fränkischen Grenze, in beide Richtungen! Wegen der Gaffer.
Natürlich konnte so eine Strafakte in der Justiz nicht einfach verschwinden. Es gab Protokolle, Auslieferungsbelege und Quittungen. Aber es war schon vorgekommen, dass die Akte beim Verteidiger herumlag und Staub ansetzte, während man auf der Suche nach dem guten Stück die halbe Staatsanwaltschaft auf den Kopf stellte.
Aber Rechtsanwalt Fickel hatte weitaus Besseres zu tun, als in einer Strafakte zu stöbern. Die zwei durch den Stau gewonnenen Stunden nutzte er zunächst für ein ausgiebiges Frühstück. Denn wer in die Schlacht zieht, braucht schließlich einen gut gefüllten Magen. Danach ging er beim Apotheker Reinhardt vorbei, bei dem er immer die rezeptfreien Halspastillen kaufte. Der Reinhardt nahm die Tabletten, die der Fickel bei seiner Vermieterin in der Thüringer-Wald-Residenz hatte mitgehen lassen, nur kurz unter die Lupe und meinte, das seien ziemlich starke Beruhigungsmittel. Da ratterte es beim Fickel natürlich wieder im Oberstübchen, denn die Frau Schmidtkonz kam ja im Allgemeinen fast ohne
Weitere Kostenlose Bücher