Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
bedrängenden Körpers, dorthin, wo sie die Weichteile vermutete. Erneut heulte der Angreifer auf, diesmal eher klagend als wütend, und ergriff kurz darauf die Flucht, mitten durch das Dickicht der Büsche.
Eine Sekunde schwankte die Oberstaatsanwältin, ob sie die Verfolgung aufnehmen sollte, aber dann ließ die Wirkung des Adrenalins langsam nach und sie merkte, dass sie am ganzen Körper zitterte. Ihrem ersten Impuls folgend, wollte sie die Nummer der Polizei wählen, aber dann hielt sie inne. Wenn bekannt wurde, dass sie von einem Unbekannten im Park angefallen worden war, noch dazu direkt am Brahms-Denkmal, dann wäre dies zweifelsohne ein Entlastungsindiz für den René Schmidtkonz. Dies würde bedeuten: viele Stunden Arbeit umsonst, ein unzufriedener Landrat und – last but not least – ein triumphierender Exmann.
Obwohl es streng genommen ihre Pflicht gewesen wäre, verzichtete die Gundelwein lieber auf eine Anzeige des Vorfalls und fuhr mit ihrem kleinen roten Flitzer direkt nach Hause in ihre Villa an der Berliner Straße. Dort schloss sie die Tür zweimal hinter sich ab und ließ sämtliche Jalousien an den Fenstern runter. Dann nahm sie zum ersten Mal in ihrem Leben die Heckler & Koch P10, für die sie einen Waffenschein besaß, aus dem Schrank und legte sie neben sich griffbereit auf den Nachttisch. Erst dann löschte sie das Licht und horchte noch bis weit nach Mitternacht jedem fremden Geräusch hinterher.
IX
Am frühen Morgen des nächsten Tages wurde der Schäfer Maik Römhild Zeuge einer außergewöhnlichen Begebenheit. Kurz nach Sonnenaufgang hatte er seine Tiere an den Fuß des riesigen Autobahnviadukts in der Nähe der ehemaligen innerdeutschen Grenze an der A71 getrieben. Der Hirtenhund »Rammstein« hatte ganze Arbeit geleistet, und jetzt graste die Herde vollzählig am Fuße eines mächtigen Brückenpfeilers. Das Surren der Autos war hier, direkt unter der Trasse, die zig Meter über seinem Kopf verlief, kaum noch zu hören.
Maik rollte seinen Schlafsack aus, in dem festen Vorsatz, noch ein oder zwei Stunden Schlaf nachzuholen. Auf Rammstein war Verlass. Doch aus seinem Vorhaben sollte nichts werden, denn plötzlich schlug der Hirtenhund an. Die Schafe hoben ihre Köpfe, und als Maik sich umdrehte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Es war schließlich das erste Mal, dass er ein Ufo sah, zumindest in nüchternem Zustand. In hohem Bogen flog das metallisch schimmernde Ding scheinbar schwerelos und mit strahlenden Xenon-Scheinwerfern direkt über ihn hinweg. Etwas löste sich von dem unbekannten Objekt … Ein Rad?
Noch ehe Maik realisiert hatte, dass es sich um ein Auto oder vielmehr um einen Familienvan handelte, war das Ufo schon circa hundert Meter weiter in einer Wiese eingeschlagen. Es gab einen unheimlichen Knall, der Boden erzitterte leicht, Rammstein knurrte und winselte zugleich. Maik dankte dem lieben Gott, dass er die Schafe noch ein Stück weiter getrieben hatte, sonst: Hammelkoteletts!
Der Wagen oder das, was davon übrig war, fing an zu brennen. War da etwa noch einer drin? Lebte der Fahrer vielleicht sogar noch? Er pfiff Rammstein zu sich und rannte in die Richtung des Wracks. Nein. Wer immer da dringesessen hatte, dem hatte kein Airbag der Welt helfen können. Er blickte auf die weiße, blutige Masse, die an den Resten des aus seiner Verankerung gerissenen Lenkrads klebte. Bisher war er lediglich einmal Zeuge eines Unfalls geworden, als eines seiner Lämmchen von einem Auto angefahren worden war – aber erstaunlich: Schaf- und Menschenhirn waren sich in Farbe und Konsistenz ähnlicher, als manch einer vermutete. Mit zittrigen Fingern holte Maik sein Handy aus der Tasche und wählte die Notrufnummer. Die Schafe blökten und gingen zur Tagesordnung über. Böh!
»Blöde Hammel«, dachte Kriminalrat Recknagel währenddessen, als er mit einem Kollegen vom Streifendienst in den Keller des Meininger Polizeipräsidiums stieg, wo sich die Zellen für den Polizeigewahrsam befanden. Christoph und Christian, seine beiden Mitarbeiter, folgten ein paar Meter dahinter. Ihren Gesichtern war anzusehen, dass sie die Aktion für überflüssig hielten. Die Mordkommission hatte einen Täter überführt, der Fall war aufgeklärt, die Staatsanwaltschaft zufrieden – also, warum noch im Nebel rumstochern?
Der Streifenpolizist schloss die Ausnüchterungszelle auf, in der man Personen festhielt, die sich nur vorübergehend in Polizeigewahrsam befanden, bevor sie wieder auf freien
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