Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
Kopfschmerzen besorgt und war anschließend zu Fuß zum Justizzentrum gelaufen, um noch ein bisschen Luft zu schnappen. Den Rest des Tages hatte sie trotz eines ausgewachsenen Katers weiter an der Anklageschrift gegen René Schmidtkonz gefeilt. Die Indizienkette war inzwischen schlüssig, das Täterprofil eines zugleich mit Minderwertigkeitskomplexen und Allmachtsfantasien ausgestatteten, überehrgeizigen Nachwuchsjuristen passte bestechend gut zur Persönlichkeit des Beschuldigten. Kurz: Die Oberstaatsanwältin war mit sich zufrieden.
Das raschelnde Geräusch hinter sich ignorierte sie. Die Gundelwein war kein ängstlicher Typ, und der Weg durch den Park war der schnellste in die Innenstadt, wo ihr Wagen auf sie wartete. Morgen würde sie ihr Werk noch einmal Korrektur lesen und dann der großen Strafkammer am Landgericht zustellen. Der Prozess könnte voraussichtlich im Herbst beginnen, genau wie es den Wünschen des Landrats entsprach.
Der Landrat! Wenn sie an die Episode in dem Wellnesshotel dachte, war sie hin- und hergerissen zwischen Scham, Empörung und einer gewissen Euphorie. Auch wenn sie den harmlosen Erklärungen des Landrats nur bedingt Glauben schenkte, hatte sie immerhin die Visitenkarte mit der Durchwahl des Justizstaatssekretärs in der Tasche, des ersten Anwärters auf den Posten des künftigen Justizministers. Dafür konnte man schon mal auf einer Party fünfe gerade sein lassen. Allein ihr Blackout machte der Gundelwein noch zu schaffen. Wie war sie in die Suite ihres Ex gelangt? Hatte er sie entführt oder war sie in betrunkenem Zustand selbst auf seinen Balkon geklettert? Die Gundelwein verschob die Beantwortung dieser Fragen auf später: Wenn der Fickel erst mal die Anzeige wegen Freiheitsberaubung und Nötigung am Hals hatte, würde er schon auspacken!
Die Geräusche kamen aus den Büschen und bewegten sich parallel zu ihr. Vielleicht ein Tier, dachte die Oberstaatsanwältin. In dem funzeligen Licht entfernter Straßenlaternen erkannte sie den Schatten des Rondells, auf dessen Plateau das Brahms-Denkmal thronte. Selbst die Gundelwein wusste, dass es das erste seiner Art in ganz Deutschland gewesen war. Und auf so was waren sie hier auch noch stolz! Wenn es nach ihr ginge, wäre sie lieber heute als morgen Abteilungsleiterin in Erfurt geworden. Nur endlich raus aus diesem Provinzmief.
Die Gundelwein hatte noch gut fünfzig Meter zu gehen, bis sie auf den mit Laternen beleuchteten Asphaltweg traf. Sie trat auf ein Stück von dem Plastikband, mit dem hier vor nicht langer Zeit der Tatort abgesperrt worden war. Da! – Ein Schnaufen, ganz nah an ihrem rechten Ohr. Das musste ein ziemlich großes Tier sein. Unwillkürlich griff sie in ihre Handtasche und beschleunigte nochmals ihre Schritte. Wovor habe ich eigentlich Angst?, beruhigte sich die Oberstaatsanwältin. Der Täter sitzt doch im Gefängnis!
Doch trotz aller vernünftigen Erwägungen blieb ein ungutes Gefühl in der Magengegend zurück. Kurz nachdem sie das Brahms-Denkmal hinter sich gelassen hatte, hörte sie eindeutig Schritte hinter sich und begann zu laufen. Die Schritte hinter ihr beschleunigten ebenfalls. Die Gundelwein verfluchte ihre neuen Pumps. Nicht nur, dass die für ihre Größe eine viel zu kleine Ballenbreite besaßen und ihr die Zehen abquetschten, man kam einfach nicht schnell genug damit voran! Da spürte sie schon eine schwere Hand auf ihrer Schulter.
Zu ihrem Glück hatte sie die kleine Spraydose, die sie stets in ihrer Tasche mitführte, in Sekundenbruchteilen zur Hand. Sie duckte sich nach links und spritzte das Pfefferspray von unten in Richtung des Angreifers, dessen Silhouette sich vor dem etwas helleren Hintergrund des Bahnhofs scharf abzeichnete.
Ein Geheul, wie aus der Kehle eines Urtiers stammend, war die Antwort. Die Dunkelheit war so undurchdringlich, dass die Oberstaatsanwältin kein Gesicht erkennen konnte. »Staatsanwaltschaft! Wer sind Sie?«, rief sie im einschüchternden Befehlston. Aber als Antwort hörte sie nur neuerliche unartikulierte Schmerzenslaute und zwei Wörter, die wie »Pöh-Vau« klangen. Böse Frau?
»Treten Sie zurück! Ich bin bewaffnet!«, rief die Oberstaatsanwältin. Das war natürlich ein Bluff, aber der unbekannte Angreifer schlug jetzt blindwütig um sich. Ein Schlag traf die Oberstaatsanwältin gegen die Schulter, sodass sie beinahe das Gleichgewicht verlor. Nur nicht hinfallen!, dachte sie panisch. Noch im Taumeln trat sie mit aller Kraft in Richtung der Mitte des sie
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