Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
der Kunst auseinanderzunehmen.
Der Fickel wiederum verspürte nicht die geringste Lust, das Suppenhuhn in der juristischen Bouillon seiner Ex zu spielen. Darum ließ er sich noch schnell von der Driesel ein wenig fachlich briefen. Insbesondere war es natürlich interessant zu erfahren, worauf es bei der rechtlichen Beurteilung so einer Untersuchungshaft überhaupt ankam. Schließlich hatte die Driesel ihm die Sache ja eingebrockt, und da war es irgendwo auch nur recht und billig, wenn sie sich fachlich ein bisschen einbrachte beziehungsweise zumindest ihren Account zur JURIS -Datenbank [ 19 ], zu der sie als Amtsgerichtsdirektorin unbeschränkten Zugang hatte.
Wenn jetzt ein Student aus dem dritten Semester ein ungutes Gefühl hat, weil die Driesel einem Anwalt in einem laufenden Verfahren Tipps gibt, dann wollen wir nur der lieben Ordnung halber festhalten, dass sie mit dem Fortgang des Prozesses ohnehin nicht mehr das Geringste zu tun hatte. Ein Schwerverbrechen wie Mord wird bekanntlich vor der großen Kammer im Landgericht verhandelt. Und wenn die Amtsrichterin Driesel dem Fickel jetzt ein bisschen auf die Sprünge half, dann ausschließlich aus persönlicher Sympathie und in ihrer Eigenschaft als Privatperson. Schließlich konnte ja der Fickel nichts dafür, dass die Gesetze, die er einst in mühevoller Kleinarbeit an der juristischen Fakultät in Jena gelernt hatte, inzwischen außer Kraft gesetzt waren und er sich mit den neuen Paragrafen nicht ganz so gut auskannte. Wahrscheinlich konnte ihn in diesem Punkt niemand besser verstehen als die Driesel, die sich anno ’90 als Richterin von heute auf morgen die komplette Zivilprozessordnung und das Bürgerliche Gesetzbuch mit allen Nebengesetzen, insgesamt also einige Tausend Normen, draufschaffen musste. Da blieb einem gar nichts anderes übrig, als auf Lücke zu setzen – auf gut deutsch: Learning on the Job .
Andererseits war selbst die Driesel, wie schon die Oberstaatsanwältin bemerkt hatte, nicht unbedingt die geborene Strafrechtlerin, und dann stürzte auch noch das JURIS ab! Also musste sie ganz altmodisch im Kleinknecht [ 20 ] nachschlagen, welche Voraussetzungen für die Fortdauer einer Untersuchungshaft vorliegen mussten, und das hätte man sich eigentlich denken können: nämlich ein dringender Tatverdacht und ein Haftgrund. Für Letzteren standen wiederum alternativ Wiederholungs-, Flucht- oder Verdunkelungsgefahr zur Auswahl. Das war so einfach, dass es sich sogar der Fickel merken konnte.
Aber was genau unter einem »dringenden Tatverdacht« zu verstehen war, das konnte ihm auch die Driesel in der Kürze der Zeit nur »so ungefähr« erläutern, zum Beispiel im Unterschied zu einem stinknormalen Verdacht oder auch zum »hinreichenden Verdacht«. Trotzdem fühlte sich der Fickel nach dem Briefing der Kollegin Driesel zumindest moralisch gut gewappnet, seiner »Oberstaatsexfrau« einen anständigen Kampf zu liefern.
Als der Fickel endlich den Verhandlungssaal betrat, warteten schon alle auf ihn: die Oberstaatsanwältin Gundelwein mit rötlich leuchtender Kurzhaarfrisur, der unrasierte, von zwei Wachtmeistern flankierte Beschuldigte und vorn in der Mitte die wichtigste Person, der Proberichter Hager. Nachdem er am Feiertag schon den Eildienst der Kminikowski aufgebrummt bekommen hatte, musste er heute den Ermittlungsrichter Leonhard vertreten, weil der als Einziger tatsächlich so korrekt gewesen war, sich wenigstens krankzumelden. Natürlich hätte der Hager auch lieber einen Brückentag eingelegt, wie üblich mit seiner Frau gestritten und mit den Kindern Fußball gespielt. Aber nach dem Handy-Malheur am Feiertag war daran natürlich nicht mehr zu denken. Die Driesel hatte ihm telefonisch eingeschärft, dass er sich nicht mehr den kleinsten Fehler erlauben durfte, wenn ihm an der Planstelle gelegen war, auch wenn die Emotionen unter den Beteiligten im Saal vielleicht etwas hochkochen sollten. Grund zur Sorge bestand allemal.
Seit der kurzen Episode ihrer Ehe hatte sich in der Seele der Oberstaatsanwältin ein gewaltiger Stausee an negativen Gefühlen für ihren Exmann angesammelt, sodass sie sich glatt selbst hätte verhaften müssen, wenn Gedanken strafbar wären. So eine Gelegenheit wie den Haftprüfungstermin konnte sie deshalb keinesfalls verstreichen lassen, ohne die Schleusen dieses emotionalen Stausees wenigstens einen Spaltbreit zu öffnen.
Letztlich hatte die Gundelwein eigentlich nur zwei Ziele bei diesem Termin: dass einerseits
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