Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
sie, die Oberstaatsanwältin, als souveräne Siegerin den Saal verließ und andererseits der Fickel als Jurist und Mann bis auf die Knochen blamiert, quasi persönlichkeitsentkernt vor der gesamten Welt dastand. Das waren zugegebenermaßen nicht die besten Voraussetzungen für die Sache des Beschuldigten. Allein schon wegen ihrer imposanten Körpergröße, die von der wallenden Robe und den hochgekämmten kurzen roten Haaren noch betont wurde, ähnelte die Oberstaatsanwältin einer überlebensgroßen Justitia – im Grunde fehlten nur noch Waage und Schwert. Doch der René Schmidtkonz sah nicht im Entferntesten so aus, als sei er durch ihren Anblick eingeschüchtert. Im Gegenteil schien er die Anspannung der Anwesenden, gepaart mit der Aufmerksamkeit für seine Person, sogar auf gewisse Art zu genießen.
Kaum hatte der Hager die Verhandlung mit leiser, schüchterner Stimme begonnen, preschte die Oberstaatsanwältin auch schon vor und begann auf den Beschuldigten verbal einzudreschen, dass er als Referendar in der Zivilstation von Anfang an fachlich überfordert gewesen sei und angesichts seiner brillanten Ausbilderin einen Minderwertigkeitskomplex entwickelt habe. An der Stelle mischte sich der René das erste Mal ein: »Ich habe mehr Punkte im ersten Examen als die!«, zischte er seinem Verteidiger zu, sodass es alle hören konnten, aber dem Fickel waren diese kleinen Eitelkeiten unter Topjuristen herzlich gleichgültig.
Außerdem benötigte der Fickel seine gesamte Konzentration, um den verschwurbelten Ausführungen seiner Exfrau zu folgen, die ihn bislang keines Blickes gewürdigt hatte. Die Gundelwein zielte weiter klar unter die Gürtellinie: Der Referendar Schmidtkonz sei offenbar sexuell frustriert gewesen und habe es psychisch nicht verkraftet, dass die Ausbilderin seine erotischen Avancen nicht erwidert habe. Wieder lachte der René höhnisch auf, aber diesmal klang es eher halbherzig.
Die Oberstaatsanwältin ließ eine kurze Kunstpause eintreten und fokussierte den Beschuldigten sowie dessen Verteidiger aus den Augenwinkeln. Dann holte sie zum alles entscheidenden Schlag aus: »Es besteht der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte, gepeinigt von seiner übermächtigen Libido, einen für ihn günstig scheinenden Moment abgepasst und dem ahnungslosen Opfer im Park aufgelauert hat, um seine perversen erotischen Fantasien mit Gewalt in die Tat umzusetzen – auch um seinem verletzten männlichen Stolz Genüge zu tun, den er durch die wiederholte Abweisung durch das Opfer verletzt sah.«
Alle im Saal schienen den Atem anzuhalten, bis auf einen. »Vielleicht ist es von Interesse, dass der Beschuldigte in einer glücklichen Beziehung lebt«, erwiderte der Fickel ungerührt.
»Sehr richtig!«, bestätigte der René Schmidtkonz.
Der Hager räusperte sich vorsichtig. »Geschätzde Kollegin Gundelwein, in dem Gutachten findet sich aba kein dirrreggder Hinweis auf verrrgewaltigungsdypische Verrrletzungen.«
Die Gundelwein blickte den Hager an wie die Viper das Kaninchen. »Das hat ja auch niemand behauptet! Wir sprechen hier von der zweiten Tat-Alternative des Paragrafen 177 Absatz I S t GB , die ausdrücklich Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben in den Tatbestand einschließt! Darf ich jetzt weitermachen?«
Der Hager nickte, jetzt noch etwas kleinlauter als zuvor.
»Nachdem er die sexuelle Nötigung in einem besonders schweren Fall gemäß Paragraf 177 Absatz II S t GB vollzogen hatte, ist der Beschuldigte anscheinend vor sich selbst und seiner Tat erschrocken und von Reue gepackt worden. Da er jedoch davon ausgehen musste, dass die Richterin Kminikowski ihn als Täter identifizieren würde, hat er sie, um seine vorangegangene Tat zu verdecken, mit ihrer Robe gedrosselt, bis der Tod eintrat – zu bestrafen als Mord nach Paragraf 211 S t GB .«
Im Saal hätte man jetzt ein Blatt zu Boden fallen hören können. Die Gundelwein gelangte zum Ende ihrer Ausführungen, jedoch nicht ohne zu erwähnen, dass der Beschuldigte kein Alibi vorweisen könne und sich darüber hinaus der Reihenuntersuchung und später sogar der Zeugenbefragung entzogen habe. Die am Tatort aufgefundenen Fußspuren könnten dem Beschuldigten bislang zwar nicht eindeutig zugeordnet werden, aber die Schuhgröße stelle doch immerhin ein »belastendes Indiz« dar. Sie schloss ihre Ausführungen mit dem Satz: »Durch seine Flucht hat der Beschuldigte bereits gezeigt, dass er nicht gewillt ist, sich seiner Verantwortung vor
Weitere Kostenlose Bücher