Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
gemacht. Denn der René forderte ihn allen Ernstes auf, in seiner Eigenschaft als Pflichtverteidiger in aller Form Beschwerde gegen diesen richterlichen Beschluss einzulegen und die Auswertung seines Tests verbieten zu lassen, weil – der Fickel traute beinahe seinen Ohren nicht – dadurch sein »Recht auf informationelle Selbstbestimmung« verletzt sei, das ihm als »Ausprägung des aus Artikel zwo Absatz eins in Verbindung mit Artikel eins Absatz eins Grundgesetz abgeleiteten Allgemeinen Persönlichkeitsrechts« zustünde.
Tja, und da hat der Fickel plötzlich zu seiner eigenen Überraschung zu brüllen angefangen, was seinem Mandanten einfiele, nur wegen so ein paar läppischer Grundrechte die eigene Freilassung zu sabotieren! Wenn er sich unbedingt profilieren wolle, dann solle er gefälligst einen Artikel in der NJW [ 16 ] verfassen, anstatt die Arbeitskraft seines Anwalts zu vergeuden, nur um die Justiz mit prozessualem Schnickschnack an der Nase herumzuführen!
Aber was ein richtiger Querulant ist, so wie der René Schmidtkonz, der lässt sich auch von einem brüllenden Anwalt nicht so leicht einschüchtern, nicht mal, wenn dessen Hals bedrohlich angeschwollen ist und sein Atem schlecht riecht. Stattdessen erwiderte er sehr leise, aber äußerst eindringlich, dass er Fickels Verhalten »total unprofessionell« finde. Damit lag er wahrscheinlich gar nicht mal so falsch, aber der Fickel meinte, wenn sein Mandant einen professionellen Anwalt wünsche, dann solle er sich einen aus der Rippe schnitzen. Und dann fügte er ultimativ hinzu: »Sollten Sie die Aufklärung des Falls weiter mit schwachsinnigen Rechtsmitteln torpedieren, werde ich Ihrer Großmutter höchstpersönlich mitteilen, dass ich als Ihr Anwalt davon ausgehe, dass Sie ein gemeiner Mörder und Vergewaltiger sind!«
Sicher war das irgendwo auch Erpressung beziehungsweise Nötigung, aber in so einem Fall heiligt der Zweck manchmal die Mittel. Und vielleicht sah der René im Grunde seines Herzens auch ein, dass es für ihn nicht nur von Vorteil war, sich weiter in formaljuristischen Kniffen zu verzetteln. Schließlich konnte so ein Verdacht einen jungen Mann auch noch eine ganze Weile verfolgen. Wenn ein Foto von einem »Vergewaltiger« erst mal auf der ersten Seite der Zeitung abgedruckt ist, da bleibt bei den Leuten immer was hängen, selbst wenn sich hinterher rausstellt, dass man unschuldig und eigentlich ein ganz netter Kerl ist. Und dann kann es einem durchaus passieren, dass man von heute auf morgen nicht mehr in die Disko rein kommt oder auf der Straße schief angeschaut wird.
Jedenfalls war der Fickel direkt erleichtert, dass sich der René schließlich wenn auch nicht einsichtig, dann wenigstens kooperativ zeigte. Von der Beschwerde oder gar seinen Grundrechten war bei der Verabschiedung jedenfalls keine Rede mehr, eher von den Möglichkeiten, ihm die eine oder andere Hafterleichterung zu verschaffen, zum Beispiel durch einen Fernseher in der Zelle oder wenigstens was zu lesen. Der Fickel versprach, sich darum zu kümmern, wobei er aber glatt die Finger hinter dem Rücken kreuzte!
Insgeheim war er fast gespannt, wie lange der René seine Arroganz durchhalten würde. Untermaßfeld hatte nämlich schon zu DDR -Zeiten den Ruf weggehabt, der mit Abstand schäbigste Knast Thüringens, ja sogar der gesamten Republik zu sein, sodass es unter Delinquenten als besonders perfide Strafe gegolten hatte, ausgerechnet in dieser Anstalt einsitzen zu müssen. So wie es später dem ehemaligen Suhler SED -Bezirkschef Hans Albrecht ergangen war, als den einheimischen Juristen nach der Wende spontan nichts Besseres eingefallen war, als ihm ausgerechnet dafür den Prozess zu machen, dass beim Bau seiner Datsche im Bezirk Frankfurt (Oder) [ 17 ] womöglich irgendwas nicht mit rechten Dingen zugegangen war – obwohl ihm die Leistungen, wie ein guter Bekannter vom Rainer Kummer hinter vorgehaltener Hand zu berichten wusste, vom ortsansässigen Baukombinat in vorauseilendem Gehorsam förmlich aufgedrängt worden waren. In der Geschichte des Rechts kommt es immer wieder mal vor, dass es nicht so wichtig ist, warum einer sitzt, sondern dass er sitzt. [ 18 ] Insofern kann das Gefängnis in Untermaßfeld immerhin als gutes Beispiel für den fehlgeleiteten Ehrgeiz der damaligen Suhler SED -Bezirksleitung herhalten, ausgerechnet das abscheulichste Gefängnis des Landes im Bezirk zu haben. – Und ruck, zuck hockt man selbst drinnen. Jedenfalls glänzt der Ort
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