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Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Titel: Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Henner Hess
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unbehagliches Schweigen ein. Aber in so einer Situation stellt sich heraus, wer ein echter Profi ist. Der Landrat zeigte selbst angesichts der vielen auf ihn gerichteten, überwiegend brillenbewehrten Augen keine Spur von Verlegenheit und brummte mit sonorer, cool wie ein Pfefferminzdrops klingender Stimme ins Mikro: »Typisch meine Frau. Wenn man sie braucht, ist sie nicht da.« Da hörte man schon etliche Lacher im Publikum, und dann gab der Landrat der guten Laune weiter Auftrieb und eröffnete kurzerhand das Buffet.
    Den Fickel erwischte er damit buchstäblich auf dem falschen Fuß, weil der mit so einem schnellen Ende der Zeremonie überhaupt nicht gerechnet und es sich daher gerade ein bisschen bequem gemacht hatte. Bis er in seine engen Lackschuhe wieder reingeschlüpft war, hatten sich natürlich beim Hirschragout und bei den Wildschweinmedaillons lange Schlangen gebildet wie früher beim Gemüsehändler, wenn es mal Spargel oder Erdbeeren gegeben hatte.
    Der Fickel hatte rein gar nichts gegen Spargel, insbesondere mit einem luftgetrockneten Barchfelder Schinken dazu, aber noch mehr interessierte er sich für Wildschweinmedaillons und Hirschragout. Deshalb zögerte er auch keine Sekunde, sich bei der aussichtsreichsten Schlange hinten anzustellen und sich auf eine lange, öde und womöglich auch noch erfolglose Warterei einzulassen. Denn die Terrinen mit dem Wild sahen nicht gerade groß aus.
    Die Lage verbesserte sich jedoch gravierend, als plötzlich jemand – keiner konnte hinterher sagen, wer eigentlich genau – in den Saal stürmte und mit von Entsetzen entstellter, sich überschlagender Stimme rief: »Die Richterin Kminikowski … Im Englischen Garten … Tot!!!«
    Einen Moment lang sahen alle einander an, als müssten sie sich erst in den Augen der Nachbarn vergewissern, dass diese Worte tatsächlich gefallen waren, aber dann setzte ein Murmeln ein, das immer aufgeregter wurde, je mehr Leute registrierten, dass die anderen die Schreckensnachricht auch gehört hatten. Die Frauen hielten sich die Hände vor ihre rot angemalten Münder, und die Männer diskutierten, ob es sich vielleicht um einen Irrtum oder einen schlechten Scherz handeln konnte.
    Als Erster fasste sich der Landrat. Er schlüpfte in sein Sakko und ging zügigen, aber gemessenen Schrittes aus dem Saal. Trotz der ihn persönlich am meisten betreffenden Neuigkeit wirkte er immer noch staatsmännisch, wie ein echter Anführer, den so leicht nichts umwirft, selbst wenn’s der Tod der eigenen Frau ist. Nach und nach begaben sich immer mehr Gäste des Banketts nach draußen, wo man schon die Sirenen hörte und beobachten konnte, wie gegenüber vom Sächsischen Hof der Englische Garten von Beamten mit rot-weißem Plastikband abgesperrt wurde.
    So kam es, dass der Fickel plötzlich ganz allein vor den Wildschweinmedaillons stand. Die Neugierde zog eigentlich auch ihn nach draußen, zur Herde der Schaulustigen, doch sein Appetit fesselte ihn ans Buffet. Und weil so eine Gelegenheit bestimmt so schnell nicht wiederkehrte, entschied sich der Fickel für einen Kompromiss. Er wickelte ein schönes Dutzend der Medaillons in eine Serviette und steckte sie in die Tasche seines Hochzeitsanzugs, den er sowieso nie wieder anzuziehen gedachte. Eins von den Teilen behielt er allerdings gleich in der Hand und biss herzhaft hinein. Wobei er seine Zähne fast gar nicht gebraucht hätte, so zart war das Fleisch.
    Als sich der Fickel wieder vom Buffet abwandte, erschrak er allerdings tüchtig, denn entgegen seiner Vermutung war er doch nicht ganz allein im Saal zurückgeblieben. Gleich vorn bei den Ehrenplätzen saß nämlich die scheidende Amtsgerichtsdirektorin Driesel an einem Tisch und schaufelte seelenruhig Hirschragout in sich hinein.
    »Der Kollege Fickel«, begrüßte sie ihn mit vollem Mund und einem Augenzwinkern. »Immer einen gesunden Appetit, gell?«
    Man musste sie schon so lange kennen wie der Fickel, um zu wissen, dass diese Bemerkung keineswegs ironisch oder gar kritisch, sondern durchaus anerkennend gemeint war.
    Die Driesel schüttelte bekümmert den Kopf. »Ausgerechnet wenn ich mein Bankett habe, passiert so eine Schweinerei!« Um nicht herzlos zu erscheinen, fügte sie hinzu: »Die arme Kminikowski! So eine kluge Frau!«
    »Vielleicht lebt sie ja noch«, schlug der Fickel vor. Doch die Driesel zeigte zum Fenster, in dem die Reflexe der Blaulichter tanzten.
    »Da würde ich mich keinen übertriebenen Hoffnungen hingeben«, erklärte sie

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