Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
noch dieses ostdeutsche Faktotum, die Driesel, vor die Nase gesetzt worden. Aber das war jetzt Schnee von gestern, und der Leonhard, der mittlerweile auch schon knapp vor der Pensionierung stand, verfügte über die menschliche Größe und den Anstand, seine ewige Konkurrentin zum Abschied mit professionellem Respekt und ein paar heiteren Anekdoten angemessen zu würdigen.
Man konnte der scheidenden Amtsgerichtsdirektorin direkt ansehen, wie anders ihr von all den Lobeshymnen geworden war. So angefasst wie während der Rede vom Leonhard für die »außergewöhnliche Kollegin und liebe Freundin« hatte man sie jedenfalls in der Öffentlichkeit noch nie erlebt. Und alle, die sie bis dato nur als Amtsgerichtsdirektorin und harten Knochen gekannt hatten, die söhnten sich spätestens in diesem Moment mit dem alten Schlachtross vollständig aus – außer dem Proberichter Hager, der sich seit Jahren vergeblich Hoffnungen auf eine Planstelle am Amtsgericht machte, weil er die für seinen Familienfrieden dringend benötigte. Immer wieder hatte seine Mentorin, die Amtsgerichtsdirektorin Driesel, Hoffnungen in ihm geschürt, doch jetzt trat sie unverrichteter Dinge ab, und ihr Schützling blickte dumm aus der Wäsche. Der Hager war offenbar derart enttäuscht von der Entwicklung im Allgemeinen und seiner Mentorin im Besonderen, dass er anscheinend gleich nach Dienstschluss, ohne jemandem Bescheid zu sagen, ins Wochenende heim nach Bad Kissingen gedüst war.
Tja, und dann hätte eigentlich der Landrat reden sollen, aber der ließ sich noch etwas Zeit, die Festgäste mit seiner Anwesenheit zu beglücken. Das war für die meisten ziemlich ärgerlich, weil sie sowieso nur ans Fressen dachten, genau wie der Fickel. Immerhin roch es im Saal schon so gewaltig nach den angekündigten Wildschweinmedaillons und dem Hirschragout, dass einigen der Sabber aus den Mundwinkeln troff. Aber zum Glück erschien der Landrat dann keine fünf Minuten nach der Rede vom Leonhard endlich auf der Bildfläche, und da reckten natürlich vor allem die Frauen ihre Hälse, weil der Kminikowski nämlich so ein Typ ist, der beim anderen Geschlecht wahnsinnig gut ankommt – blendend aussehend, Typ jugendlicher Endvierziger mit grauen Schläfen und Zahnpastalächeln, dazu immer perfekt gekleidet und was das Wichtigste ist: immer lässig und charmant. Es soll sogar Landkreise draußen in der Rhön gegeben haben, die sich Schmalkalden-Meiningen anschließen wollten, nur um auch solch einen charismatischen Lokalpolitiker an der Spitze zu haben. Auch wenn das vielleicht ein bisschen übertrieben klingt, verbreitete Peter Kminikowski gemeinsam mit seiner knapp vierzigjährigen, für Meiningens Verhältnisse also jungen und irgendwo noch recht aparten Frau immerhin einen Hauch von Glamour, wie er einer überregional bedeutenden Theaterstadt gut zu Gesicht stand. Spötter nannten das Paar bereits die »Clintons von Meiningen«, was andererseits gar nicht so weit hergeholt war. Zumal Sylvia Kminikowski als Richterin selbst eine respektable Karriere hingelegt hatte und sich nun anschickte, die Nachfolge der Driesel an der Spitze des Amtsgerichts zu übernehmen.
Der Landrat widerstand der Versuchung, seinen Job als Festredner für seine Wahlkampfzwecke zu missbrauchen und die Leute mit weitschweifigen Ausführungen über seine Politik zu langweilen, vielmehr würdigte er mit ein paar knappen, aber wohlgesetzten Worten »den unermüdlichen Einsatz der Richterin Driesel für den Justizstandort Meiningen« und überreichte ihr anschließend einen riesigen Blumenstrauß. Und was ein echter Charmebolzen und Vollblutpolitiker ist, der ist sich auch nicht zu schade dafür, eine reife und füllige Person wie die Driesel in aller Öffentlichkeit auf ihre mit violetten Äderchen gesprenkelten Wangen zu küssen und so ausgiebig zu knuddeln, dass die Driesel vor Aufregung ganz rot im Gesicht wurde und ein bisschen überfordert wirkte. Schließlich geschah es einer alleinstehenden Powerfrau nicht alle Tage, dass sie von einem zwanzig Jahre jüngeren Mann so nachdrücklich geherzt wurde.
Laut Tagesordnung hätte jetzt eigentlich noch die designierte Amtsgerichtsdirektorin ein paar Worte an die Driesel richten sollen. Aber die Neue hatte offenbar Wichtigeres zu tun, als mit einer Laudatio die Arbeit ihrer Amtsvorgängerin zu würdigen. Wie der Landrat nun das Wort an seine Frau übergeben wollte und diese nicht einmal im Saal anwesend war, setzte natürlich ein peinliches und
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