Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
noch nie von einem anderen Schwimmer abgehängt worden. Sie kannte dieses Wasser wie niemand sonst, seinen Grip, seine Spannung. Sie verfügte über besonders lange Extremitäten, die sie in die Lage versetzten, ihre Kraft effizient ins Wasser zu bekommen. Wenn sie nicht Jura studiert hätte, wäre aus ihr vielleicht eine Olympionikin geworden. Sie beschleunigte die Beinarbeit. Doch merkwürdig: Sie kam nicht einen Millimeter näher an den anderen heran. Die Gundelwein steigerte ihre Leistung unbarmherzig weiter bis in den gefürchteten anaeroben Bereich.
Aus ihrem halb geöffneten Mund drangen inzwischen Laute, die wie das Stöhnen einer Tennisspielerin klangen. Noch hundertfünfzig Meter, noch hundert … Inzwischen war sie am Limit. Ihr Schwimmstil wurde unsauber. Sie glitt nicht mehr, sie wühlte sich durchs Wasser. Doch auch der andere Schwimmer schien erschöpft zu sein. Fünfzig Meter vor Schluss war sie endlich wieder gleichauf mit ihm. Ihr Siegeswille befahl ihr, bei der letzten Bahn vor ihm anschlagen. Sie machte die Augen zu, verstärkte die Beinarbeit und zog durch. Die Beine arbeiteten wie ein Außenbordmotor. Langsam wurde der Sauerstoff knapp, die Muskeln versagten den Dienst. Noch zehn Meter, noch fünf … Dann endlich: Anschlag. Geschafft!
Das Durchatmen war eine pure Befreiung. Doch als sie auf die Nachbarbahn blickte, war ihr Gegner bereits mit majestätisch ruhigen, aber irrwitzig schnellen Schmetterlingsbewegungen auf dem Rückweg. Unzufrieden mit sich selbst zog sich die Oberstaatsanwältin mit zitterndem Bizeps aus dem Becken. Der Bademeister auf der anderen Seite schien sich heute nicht für sie zu interessieren, aber sie traute dem Frieden nicht. Hatte sie nicht letztes Jahr eine polizeiliche Ermittlungsakte in den Händen gehabt, weil man in den Damen-Umkleidekabinen eine fest installierte Kamera gefunden hatte? Wenn die Idioten bei der Polizei nicht so nachlässig ermittelt hätten, wären hier bestimmt ein paar Köpfe gerollt. Es war schon fast absurd offensichtlich gewesen, wie die Bademeister sich gegenseitig mit ihren Aussagen deckten, während die schmutzigen kleinen Filmchen fröhlich im Internet kursierten.
Die Oberstaatsanwältin rieb ihren Körper unter der Dusche länger als gewöhnlich mit kaltem Wasser ab und streckte dem Bademeister ihren spärlich bedeckten Busen förmlich entgegen, um ihn aus der Reserve zu locken. Tatsächlich blickte er wie zufällig rüber. Na wer sagte es denn! Die Gundelwein wickelte sich umständlich in ihr Handtuch und begab sich in den verwaisten Kabinentrakt. Sie war sicher, dass der kleine Chauvinist jeden Moment »zufällig« in den Kabinen nach dem Rechten sehen würde. Und das würde er bereuen!
Hektisch nestelte sie das Pfefferspray aus ihrer Handtasche und ging hinter der Tür in Verteidigungsposition. Trotz aller Vorkehrungen konnte sie spüren, wie ihr Herz vor Kälte und Anspannung bis in den Hals hinauf klopfte. Lange Sekunden verstrichen, ohne dass etwas geschah. Endlich hörte sie Schritte, begleitet von dem typischen Schmatzen feuchter Badelatschen. Die Oberstaatsanwältin machte sich bereit für den Kampf.
Im Selbstverteidigungskurs hatte sie gelernt, ihren Fuß in Sekundenbruchteilen bis in Kopfhöhe schnellen zu lassen. Wenn der erste Tritt Richtung Schläfe misslang, würde der zweite Tritt in die Hoden gehen. Oder zur Sicherheit erst die Hoden, dann der Kopf? Die Schritte waren an der Tür angelangt. Die Klinke senkte sich, und – um ein Haar hätte die Oberstaatsanwältin den Landrat Kminikowski mit einem Kung-Fu-Tritt in die Urologie nach Dreißigacker befördert. Ungläubig betrachtete die Gundelwein die athletische Figur des Schwimmers. Der Landrat war einen Moment lang ebenfalls irritiert.
»Waren Sie das gerade im Wasser?«
Die Oberstaatsanwältin nickte und verschränkte halb schamhaft, halb kämpferisch ihre Arme vor der spärlich bekleideten Brust.
»Was haben Sie in der Damenkabine verloren, verdammt noch mal?«, giftete sie den Landrat an.
Der lächelte jedoch nur unschuldig und deutete auf ein Schild direkt hinter der Oberstaatsanwältin, auf dem groß »Herren« stand. In ihrem Jagdeifer hatte sich die Oberstaatsanwältin in der Tür geirrt. Sie errötete.
»Oh, pardon …«, stotterte sie perplex.
»Ist ja nichts passiert«, meinte der Landrat gutmütig. »Wenn Sie sich hier umziehen wollen, ich hab nichts dagegen.«
Er lächelte galant, wie die Gundelwein fand, ein wenig zu selbstsicher.
»Danke, sehr
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