Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
geraden Schultern, die das dunkle Hemd angenehm locker fallen ließen. Leider war er barfuß nicht ganz so groß gewesen, wie sie ursprünglich geglaubt hatte.
»Ich will sehen, was ich tun kann«, erklärte die Oberstaatsanwältin. »Allerdings liegt der Terminplan nur bedingt in meiner Hand. Wenn ich die Anklage eingereicht habe, entscheidet die Kammer, ob und wann der Prozess eröffnet wird.«
Der Landrat nickte, dann wechselte er erneut schlagartig das Thema. »Ich habe mir übrigens mal ein paar Gedanken über Ihre Karriere gemacht.«
Die Oberstaatsanwältin blickte ihr Gegenüber fassungslos an. So lief das also! Wie in einem Mafiaroman: Tust du mir einen Gefallen, schulde ich dir einen. Und so weiter. Die Gundelwein hatte immer geahnt, dass hinter gewissen Karrieren in ihrem Bekanntenkreis gewisse Kungeleien steckten. Jetzt war sie zum ersten Mal selbst Akteurin in solch einem Spiel. Sie entschied sich, erst mal abzuwarten.
»Anfang nächster Woche findet wieder eine Tagung unseres Schmalkalden-Meiningen-Klubs statt«, erklärte der Landrat unschuldig. »Das wäre eine gute Gelegenheit, Sie mit ein paar Leuten bekannt zu machen.«
Er zog einen Faltzettel aus seinem Jackett und reichte ihn der Gundelwein. Sie warf nur einen flüchtigen Blick darauf: »Pro Senior Wellnesshotel Rennsteigblick.«
»Und was ist das für eine Veranstaltung?«
Der Landrat lächelte selbstzufrieden. »Eins meiner Lieblingsprojekte. In unregelmäßigen Abständen treffen sich Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Justiz, um über Perspektiven für unseren schönen Landkreis zu diskutieren. Der Vorteil ist: Man hat einfach einen direkteren Draht, wenn alle an einem Tisch sitzen.«
»Und was hat das mit meiner Karriere zu tun?«
»Unser Gastredner ist diesmal Doktor Veith. Ich nehme an, der Name ist Ihnen ein Begriff?«
Das war natürlich ein Scherz. Jeder Strafrechtler kannte Doktor Veith, die graue Eminenz aus Erfurt. Er wurde als zukünftiger Justizminister gehandelt.
»Der Staatssekretär aus Erfurt?«
Der Landrat nickte bedeutungsvoll. »Sie könnten ihn einfach mal kennenlernen. Ganz unverbindlich natürlich.«
Die Oberstaatsanwältin war überrumpelt. »Ich überleg’s mir«, erklärte sie ausweichend.
»Tun Sie das!« Der Landrat lächelte jetzt wie eine Hyäne. Der Oberstaatsanwältin war bewusst, dass sie in dem Fall das Aas war.
Kminikowski blickte auf die Uhr. »So, ich werd’ dann mal … – in die Höhle des Löwen.«
Er nickte der Oberstaatsanwältin zum Abschied zu und stieg in seinen Dienstwagen. Die Gundelwein ging zu ihrem kleinen roten Flitzer. Als sie einstieg, quietschten neben ihr plötzlich die Bremsen des BMW s.
»Falls Sie mal wieder Lust auf ein Wettschwimmen haben, sagen Sie Bescheid!«, rief der Landrat gut gelaunt durch das geöffnete Fenster, dann fuhr er mit durchdrehenden Reifen davon, ehe sie reagieren konnte. »Macho«, sagte die Oberstaatsanwältin leise. Aber es klang merkwürdigerweise weniger vorwurfsvoll als sonst.
Während seine Exfrau körperlich und geistig auf Hochtouren lief, lag der Fickel in seiner Hollywoodschaukel auf der Terrasse seiner Datsche und dachte nach. Andere würden es vielleicht »schlummern« nennen, aber die Neurowissenschaft verfügt ja inzwischen über gesicherte Erkenntnisse, dass bei einem kleinen Nickerchen zuweilen mehr im Gehirn passiert, als dessen Besitzer selbst bewusst ist. Um das herauszufinden, hätte der Fickel allerdings nicht unbedingt die Neurowissenschaft gebraucht.
Nach Ablauf der in der Satzung des Spartenvereins Werratal II festgelegten Mittagsruhe wurde er jedoch ziemlich unsanft aus seinen »Überlegungen« gerissen, weil der Heinz von schräg gegenüber im Winter den Zwetschgenbaum gefällt hatte und nun damit beschäftigt war, Kleinholz für den Grill daraus zu machen. Das Geräusch der Kreissäge fuhr dem Fickel direkt unter die Schädeldecke und löste dort kleine Neuronenwirbel aus. Und da fiel ihm beim Aufwachen wieder ein, dass er dem René versprochen hatte zu recherchieren, was es mit dieser Thüringer-Wald-Residenz auf sich hatte, wohin er die Kminikowski hätte begleiten sollen, erotische Hintergedanken nicht ausgeschlossen.
Wenn man jetzt gewusst hätte, wo sich die Residenz genau befand, dann hätte man als ermittelnder Anwalt vielleicht einen kleinen Ausflug unternehmen und dort mal ganz unschuldig um die Ecke schauen können, wie Matula persönlich. Die Dame von der Telefonauskunft konnte zwar mit der Adresse leider
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