Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
Kriminalistennase einen Geruch: künstliche Aromastoffe, Himbeere, einigermaßen penetrant. Er blickte sich im Trauerzug um. Kinder waren auf diese Beerdigung aus gutem Grunde nur in geringer Zahl mitgenommen worden, und doch lag unverkennbar der Geruch eines Fruchtkaugummis in der Luft. Der Recknagel machte der Berufsbezeichnung »Schnüffler« jetzt alle Ehre und versuchte, der Ursache des Himbeeraromas auf die Spur zu kommen.
Er war ein paar Meter hinter den anderen zurückgeblieben, sodass er die Aufregung um den Verwirrten am Beginn des Trauerzuges gar nicht mitbekam. Da entdeckte er schließlich einen kleinen rosafarbenen Punkt zwischen den Kieseln. Ein vor Lebensmittelfarbe nur so leuchtender Kaugummi, Geschmacksrichtung Himbeer; nicht Waldmeister wie am Tatort, aber immerhin hatte der- oder diejenige wieder gleich zwei oder drei Stück auf einmal im Mund gehabt. Diese unscheinbare Analogie genügte, dass der Kriminalrat sein frisch gewaschenes und gebügeltes Taschentuch aus seiner Hose nestelte und den Kaugummi vorsichtig darin einwickelte.
Es lag ihm natürlich fern, die eigenen Ermittlungsergebnisse infrage zu stellen. Nach dem Stand der Dinge lief alles auf eine Verurteilung des jungen Rechtsreferendars Schmidtkonz hinaus. Die schnelle Ergreifung des Täters hatte der Polizei positive Presse beschert, und nicht zuletzt hatte der Recknagel seinen jungen Mitarbeitern Christoph und Christian mal wieder zeigen können, wo der Hammer hing. Während sie sich um ihr Privatleben kümmerten, hatte er im Alleingang immerhin den spektakulärsten Mordfall gelöst, den die Stadt Meiningen in den letzten zwanzig Jahren zu bieten gehabt hatte. Irgendwo gar nicht schlecht für einen alten Sack!
Trotzdem hätte der Recknagel für sich gerne noch ein paar Fragen beantwortet: Wer hatte den Kinderkaugummi am Tatort an den Baum geklebt und zu wem gehörte die dritte DNA -Spur an der Robe? Eine gehörte der Kminikowski selbst, die zweite war vom Referendar, aber die dritte war auch bei den Reihenuntersuchungen nicht identifiziert worden. Sie gehörte weder zum Landrat noch zu irgendeiner anderen Person, die überprüft worden war. Ohne sich um die befremdeten Blicke der Leute zu scheren, steckte der Recknagel das Taschentuch mit dem Kaugummi in seine Manteltasche. Erst dann ging er zum Ehrenmal, wo die Vogelmiere zwischen den Gehwegplatten spross. Der Kriminalrat beugte sich runter und begann ächzend, dem Unkraut zu Leibe zu rücken.
Unterdessen wurde dem Fickel von der aufsteigenden Mittagssonne im Smoking des seligen Herbert Schmidtkonz ordentlich eingeheizt, doch obwohl es ihn mächtig nach Hause und zu den Rouladen seiner Vermieterin zog, harrte er weiter am keineswegs schattigen Grab des alten Bechstein aus und beobachtete aus sicherer Entfernung die Beisetzung der Urne.
Andächtig standen die engsten Angehörigen um das Grab. Plötzlich sank der Landrat, nun anscheinend doch von seiner Trauer übermannt, auf die Knie. In dem Moment hätte man die Kameraauslöser der Presseleute bis rauf zur Helenenhöhe hören können. Wenn jetzt einer dem Landrat unterstellt hätte, er wollte aus dem Tod seiner Frau eine billige PR für den bevorstehenden Wahlkampf ziehen, dem hätte der Fickel bestimmt nicht widersprochen. Aber als der frisch gebackene Witwer dann wieder aufrecht am Grab stand und jedem einzelnen Trauergast aus der über hundert Meter langen Schlange die Hand schütteln musste, da tat er dem Fickel fast schon wieder ein bisschen leid. Denn man stelle sich vor: Zwei Drittel der Trauergäste waren im Grunde nur zur Beerdigung gekommen, um dem Landrat mal persönlich die Hand schütteln zu können. Eine ältere Dame wollte sie denn auch fast nicht wieder loslassen, und der Kminikowski dachte wahrscheinlich, klar, das ist auch eine Wählerin, und dann waren ja auch noch die Fotografen vor Ort. Da muss man es sich als Politiker doppelt und dreifach überlegen, bevor man eine alte Dame brüskiert.
Als sich die Reihen langsam lichteten, stellte sich endlich auch der Fickel als Letzter hinten an der Schlange der Trauergäste an, aus einer Laune heraus oder vielleicht auch, weil er eine innere Verpflichtung spürte. Der Händedruck des Landrats war feucht vom Schweiß der vielen Hände, die er geschüttelt hatte. Als auch der Fickel seine Kondolenz losgeworden war, erhaschte er einen kurzen Blick in das erschöpfte Antlitz des Landrats. Und guck mal einer an: Der Kminikowski hatte haargenau den Ausdruck von schlechtem
Weitere Kostenlose Bücher