Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
nicht weiterhelfen, aber für solche Fälle gab es heutzutage ja das Internet. Sogar in Südwestthüringen. Selbstredend verfügte der Fickel in seiner Datsche nicht über DSL , und mit seinem »Hightechhandy von vor acht Jahren« konnte man eher Feuer machen als im World Wide Web rumsurfen.
Also holte der Fickel zwei Flaschen Pils aus dem Kühlschrank und schaute kurz beim Heinz vorbei, so unter Nachbarn, aber mit Hintergedanken. Heinz’ Frau, die Ingrid, glaubte tatsächlich, ihr Mann habe einen grünen Daumen, weil es ihn an jedem Wochenende raus in seinen Garten zog. Dabei hing er die ganze Zeit auf der Veranda vor dem Rechner und trieb wer weiß was auf wer weiß was für welchen Seiten. Jedenfalls sicher für Erwachsene. Nur wenn die Ingrid in den Garten mitkam, dann blieb der Rechner vorsichtshalber aus.
So richtig wohl fühlte sich der Fickel in Heinz’ Kunstledersessel nicht, als er die Worte »Thüringer Wald Residenz« in das Textfeld der Suchmaschine eingeben wollte, denn komisch: im Suchfeld des Browsers tauchten ausschließlich Begriffe wie »Hardcore«, »Lesbenspiele« und »Flotter Dreier« auf.
Bei den Vorlieben konnte Fickel die Ingrid schon wieder verstehen, dass sie dem Heinz etwas mehr Freiraum ließ. Doch was die »Thüringer Wald Residenz« anging, lieferte die Suche nur dreizehn Treffer. Immerhin gelangte der Fickel so auf eine einschlägige Homepage. Und guck mal einer an: Die Residenz war weder eine Pension noch ein Hotel, sondern ein »gehobenes Pflege- und Seniorenheim«. Wobei von »gehoben« auf den Bildern nicht viel zu sehen war. Jetzt fragte sich der Fickel natürlich, was die Kminikowski mit dem René ausgerechnet in einem Seniorenheim vorgehabt hatte. Perverse Spiele mit dem Klistier? Da hakte es, aber eindeutig!
Der Fickel klickte sich durch ein paar Fotos von der als »modern« beschriebenen Anlage, die aussah wie ein für irgendeinen Jahrestag herausgeputztes FDGB [ 28 ]-Heim. Darüber blinkte ein Banner mit altdeutschen Buchstaben: »Individuelle medizinische Betreuung und Pflege in naturnaher Umgebung«. Zum Beweis war ein Foto des Thüringer Waldes mit einer Plätscher-Bach-Idylle abgebildet und darunter ein weiteres Bild, auf dem eine strahlende junge Schwester mit üppiger Oberweite einen circa fünfundneunzigjährigen Methusalem mit appetitlich aussehendem Zwetschgenkuchen fütterte. Ob es nun am Kuchen lag oder an dem reichlich engen Kittel der Schwester: Der Methusalem machte jedenfalls tatsächlich einen äußerst zufriedenen Eindruck.
Das sah auch der Heinz so, als er vom Kreissägen kurz reinkam, um mal nachzusehen, was der Fickel an seinem Rechner so trieb. Denn obwohl er seinen Zwetschgenbaum erst neulich abgeholzt hatte, weil seine Frau sich inzwischen weigerte, die madigen Früchte zu entsteinen und zu Marmelade, Mus oder Kuchen zu verarbeiten, blieb der Heinz ein erklärter Liebhaber von Zwetschgenkuchen. Und – selbstredend – von jungen Schwestern mit stattlicher Oberweite. Jedenfalls notierte er sich gleich für alle Fälle die Adresse von dieser Residenz, falls er mal in die Situation kommen sollte. Aber da musste noch viel Wasser die Werra runterfließen – bei seinen gerade mal dreiundsechzig Jahren!
Der Fickel wollte den Rechner schon wieder runterfahren, da fiel ihm am Rand des Bildschirms noch ein Link ins Auge, der als »Leitfaden für Angehörige« überschrieben war. Und als er den aus Neugier anklickte, wurde er direkt zur offiziellen Seite des Betreuungsvereins »Nachbarn in Meiningen« e. V. weitergeleitet. Dort erklärte ein episch anmutender Text in blumigen Worten, wie man vorgehen muss, wenn man nicht weiß, wohin mit Oma oder Opa.
Im Prinzip war damit die Recherche schon abgeschlossen. Doch als der Fickel das Impressum mit dem Namen des Vereinsvorsitzenden von »Nachbarn in Meiningen« e. V. las, da wäre er um ein Haar aus dem Kunstledersessel gekippt. Denn das war niemand anderes als Herr Exner, sein alter Staatsbürgerkundelehrer, der 1990 nicht ganz freiwillig aus dem Schuldienst ausgeschieden war und sich inzwischen offenbar ausgerechnet im Betreuungswesen eine neue Existenz aufgebaut hatte.
Mit leichtem Schaudern betrachtete der Fickel das Foto: Da kann einer alt und grau werden, sich mit Hemd und Krawatte verkleiden – Hackfresse bleibt Hackfresse. Erstaunlicherweise wirkte der Exner auf dem Foto direkt juvenil, wie ein gut erhaltener Fünfziger vielleicht, obwohl er rein rechnerisch eigentlich zehn Jahre mehr auf dem
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