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Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)

Titel: Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Henner Hess
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gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen zu erfahren ist, werden in den verlassenen Produktionsstätten seit Neuestem Nachnutzungskonzepte im großen Stil diskutiert, beispielsweise ein »Zweiradmuseum« und ein »Museum für historische Feuerwehren«. Zum »Strukturwandel« gehört auch, dass im ehemaligen Verwaltungsgebäude des VEB Robotron inzwischen das Landratsamt Schmalkalden-Meiningen mit all seinen Unterbehörden untergebracht ist.
    Der Fickel stellte seinen Wagen ab und blickte sich erst mal ein bisschen um. Der reservierte Parkplatz für den Luxusschlitten mit dem amtlichen Kennzeichen SM–GV 69 war verwaist. Aber der Fickel hatte sowieso nicht unbedingt vorgehabt, den Landrat face à face über seine verworrenen Familienverhältnisse auszuquetschen. Als jahrelang erfolgreiche Terminhure wusste er natürlich, wie er in so einer Behörde seine Informationen bekam, und vor allem: von wem!
    Darum hielt er sich nicht lange mit den SachbearbeiterInnen auf, sondern fragte sich schnurstracks zur Schreibstube durch, wo die fleißigen Damen sitzen, die die Hauspost erledigen und die Schriftsätze der höheren Beamten abtippen. Selbstredend hatte der Fickel vorsorglich auch ein paar Pralinen dabei. Und da durfte man auf keinen Fall den Fehler begehen und etwa zu den billigen vom Discounter greifen. Die Damen kennen sich nämlich fantastisch aus bei Pralinen. Und wenn man da als Anwalt glaubwürdig sein will, dann sollte es schon etwas sein, was man nicht einfach bei Aldi oder Lidl kaufen kann.
    Weil es bei Pralinen auch ganz unterschiedliche Vorlieben gibt, hatte der Fickel nicht nur handgeschöpfte Schweizer Schokolade in der Bitter-Nuss-, sondern sicherheitshalber auch noch in der Kokoslikör-Variante dabei. Und erstaunlich: Als er nach kurzem Klopfen eintreten durfte, da war ihm auf den ersten Blick klar, dass er mit dem Likör ein gutes Händchen bewiesen hatte. Denn die Schreibstube war gar kein Büro im herkömmlichen Sinne, sondern eine Art Puppenzimmer für Erwachsene – mit Tischdeckchen, Kunstblumen, einer Kaffeemaschine und einem alten, aber gut erhaltenen Sternradio, aus dessen altersschwachen Lautsprechern »Thüringens beliebtester Privatsender« dudelte.
    Im Zentrum des Ganzen thronte eine circa vierzigjährige Beamtin – Frau Kissner – mit Löckchenfrisur und Eulenblick auf einem Drehstuhl, der allerdings einem Sessel in der Businessclass eines Flugzeugs ähnlicher sah als einem Arbeitsmöbel. Vermutlich hätte ein herkömmliches Modell das Gewicht dieser Amtsperson gar nicht getragen, denn sie litt offenbar unter schwerem Knochenbau, auf gut Deutsch: Adipositas . Aber was den Fickel am allermeisten irritierte: vom Schreibtisch, von den Wänden, aus allen Richtungen blickten ihn Katzenaugen an; das Büro war mit Postern, Postkarten und Zeichnungen von Stubentigern nur so tapeziert, die Wollknäule zwischen den Pfoten hielten oder einfach nur niedlich guckten.
    Der Fickel ist ja von Haus aus nicht unbedingt ein Tierfreund, abgesehen von dem, was auf seinem Teller landet. Deshalb musste er schon gegen einen gewissen inneren Widerstand ankämpfen, um bei der Frau Kissner so sympathisch, authentisch und volksnah rüberzukommen, wie es für seine Absichten vonnöten war. Aber die meiste Überwindung kostete es ihn, den witzigen Spruch zu ignorieren, der selbstbewusst in großen Lettern an der Magnetwand direkt hinter dem mächtigen Rücken der Frau Kissner angebracht war: »Ich arbeite gern!« Nur diejenigen Bürger, die über scharfe, weder vom grünen noch vom grauen Star befallene Augen verfügten, was im geriatrischen Landkreis Schmalkalden-Meiningen schlechterdings die Wenigsten betraf, konnten auch den mit deutlich kleineren Buchstaben geschriebenen ersten Teil dieses Statements entziffern, der lautete: »Sex ist Arbeit.«
    Trotz aller Freizügigkeit biss die Frau Kissner auf die ersten unbeholfenen Flirtversuche vom Fickel nicht an, nicht einmal, als er sich als Anwalt, mithin als gute Partie vorstellte und rumschleimte, was das Zeug hielt: »Die ganze Zettelwirtschaft – wie man sich damit so gut auskennen kann, also Chapeau!« Die vollschlanke Frau Kissner war offenbar nicht gewohnt, dass man ihr den Hof machte, und blieb misstrauisch wie ein misshandeltes Katzenjunges.
    Jetzt griff der Fickel ganz tief in die Küchenpsychologiekiste und tischte der Frau Kissner, um sie weichzukochen, eine Story auf, in der von einer betagten Mandantin die Rede war, die es altersbedingt langsam nicht mehr

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