Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
schierer Verzweiflung über seinen Verlust die Beherrschung verloren hatte. Aber die Driesel fand Fickels These abstrus, und sie bekam überraschend Schützenhilfe vom Amthor, der sich genüsslich eine Zigarette ansteckte und erklärte: »Beim Tatort erkennt man den Mörder nur daran, dass er vom bekanntesten Schauspieler gespielt wird.«
Ausgerechnet kurz vor der Auflösung des Krimis musste der Fickel mal aufs Örtchen, und der Kriminalrat hatte nichts Besseres zu tun, als sich an seine Fersen zu heften. Nicht dass der Fickel besonders prüde gewesen wäre, aber dass sich der Recknagel auch noch direkt neben ihn stellen musste, obwohl auf der anderen Seite ein absolut baugleiches Urinal zur Verfügung stand, fand er irgendwo schon ein wenig schrullig. Während es der Fickel fröhlich plätschern ließ, blieb es beim Recknagel zunächst verdächtig ruhig. Und gerade als der Fickel mit seinen Gedanken bei der Prostata-Untersuchung angelangt war, die die Krankenkasse Männern in gewissem Alter empfiehlt, begann es endlich auch beim Recknagel zu rieseln.
»Und? Schon was Neues von Ihrem Stalker?«, fragte der Kriminalrat betont beiläufig.
Der Fickel brummte etwas Unverständliches, schließlich war das nicht sein bevorzugter Ort für eine Unterhaltung.
»Zumindest war er auf der Beerdigung«, ergänzte der Recknagel.
Der Fickel machte eine ruckartige Bewegung, die beinahe feuchte Folgen für den Kriminalrat gehabt hätte, doch im letzten Moment konnte er noch rumreißen.
»Woher wissen Sie das?«
»Ich sag doch – die Kripo hat ihre Möglichkeiten.«
»Wie beim Tatort ?«, fragte der Fickel provozierend, doch der Recknagel grinste breit.
»Noch viel bessere!«
Jetzt wollte der Fickel natürlich unbedingt wissen, wer der Stalker war und ob die Polizei ihn eingebuchtet hatte. Aber da musste ihn der Kriminalrat enttäuschen.
»Ich weiß bislang nur, dass er eine Vorliebe für Fruchtkaugummis hat«, erklärte er.
Der Recknagel schloss seinen Reißverschluss und berichtete von seinen Funden am Tatort und auf dem Friedhof. Wie von ihm vermutet, stimmten die DNA -Spuren an den beiden Kaugummis überein. Bei schweren Verbrechen ließ er zudem routinemäßig Abstammungstests bei allen am Tatort gefundenen DNA s durchführen. »Sie glauben ja gar nicht, wie viel Mord- und Totschlag in der Familie bleibt«, erklärte er.
»Doch«, widersprach der Fickel aus voller Überzeugung, »Das glaube ich gern.«
»Und jetzt kommt’s!«, sagte der Kriminalrat und machte eine dramaturgische Pause, um die Spannung ins Unermessliche zu steigern, fast wie im Krimi. Dann ließ er die Bombe endlich platzen. Und guck mal einer an: Die Kaugummis vom Tatort und von der Beerdigung wiesen nicht nur identische Genspuren auf, sie stammten zudem »mit neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit« von einem direkten leiblichen Abkömmling des Landrats Kminikowski!
Recknagel sah aus, als hätte er soeben die Nilquellen entdeckt, und der Fickel, der gerade beim Händewaschen war, wunderte sich laut denkend: dass die Kminikowskis ein Kind hatten, davon hatte er noch nie etwas gehört.
»Hatten Sie auch nicht. Jedenfalls noch nicht«, erwiderte der Kriminalrat. »Die Tote hat empfängnisfördernde Medikamente eingenommen. Steht irgendwo in der Akte, etwas versteckt.« Insgeheim war er ein bisschen enttäuscht, dass der Fickel die spektakuläre Neuigkeit so gleichmütig aufnahm. Wieso glaubte eigentlich jeder, sein kriminalistischer Instinkt sei selbstverständlich? »Aber von mir haben Sie das nicht!«, erklärte er mahnend.
Der Fickel trocknete sich sorgfältig die Hände ab und versuchte die Neuigkeit einzuordnen. Offenbar hatte es in der Vergangenheit des Landrats einen folgenschweren Fehltritt gegeben. Doch aus welchem Grund sollte ein heimliches Kind vom Landrat seine Ehefrau erwürgen? In seinem Hirn ratterte es wie verrückt – aber Leerlauf.
»Sie glauben also an ein Familiendrama?«, erkundigte er sich. Der Recknagel zuckte mit den Achseln. »Was ich glaube, ist nebensächlich. Die Ermittlungen sind mit der Überführung des Täters und der Übergabe der Akten an die Staatsanwaltschaft offiziell abgeschlossen. Damit bin ich raus aus dem Fall. Klare Dienstanweisung.«
Der Fickel dachte nach. Er hatte das Gefühl, der andere wollte ihm eine Brücke bauen, nur kannte er sich mit juristischen Brücken leider überhaupt nicht aus.
»Mal angenommen, ich würde Sie bei dem Prozess als Zeugen laden …«, tastete er sich vor.
»Das
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