Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
schaffte, sich selbst und ihr armes Kätzchen allein zu versorgen. Und guck mal einer an: Plötzlich war die Frau Kissner äußerst aufgeschlossen und bediente sich zum ersten Mal aus der Schachtel mit den Kokoslikör-Pralinen. Dann stellte sie auch gleich ein paar sachliche Fragen: was das für eine Katze sei, wie alt und so weiter. Für die arme Mandantin interessierte sie sich nicht so sehr. Aber so sind sie halt, die Tierschützer.
Natürlich hatte der Fickel bezüglich seiner »Mandantin« noch das Angebot von der Frau Schmidtkonz im Ohr, als sie sich selbst kürzlich als Spionin im Seniorenheim ins Spiel gebracht hatte. Auch wenn er da zuerst ethische Bedenken angemeldet hatte, ist der Fickel im Tagesgeschäft, was die Moral angeht, recht flexibel, was sich im Übrigen auch in der kleinen Flunkerei mit der Katze manifestiert.
Immerhin gab die Kissner dem Fickel circa nach der achten Praline den heißen Tipp, sein Anliegen doch mal bei der Frau Olschewski vorzubringen, die nämlich hier im Landratsamt fünfzig Prozent der Betreuungsbehörde verkörpere und sich in derlei Belangen prima auskenne. Zufällig habe die Frau Kissner auch einen guten Draht zu der Kollegin, weil sie selbst ja auch eine demente Großmutter habe, die – im Vertrauen gesagt – »nix als Scherereien« mache. Aber was die Betreuung angehe, habe die Frau Olschewski einen guten Job gemacht und sei immer eine große Hilfe gewesen, obwohl sie ja privat sonst eher ein bisschen arrogant rüberkomme, fand jedenfalls die Frau Kissner.
Da konnte man mal wieder sehen: die fünfzehn Euro für die Likör-Pralinen waren am Ende gut angelegtes Geld. Denn obwohl am Montag überhaupt kein Sprechtag war, machte die Frau Kissner telefonisch sofort einen Termin für den Fickel klar und ließ es sich nicht einmal nehmen, ihn sogar persönlich zum Büro der Frau Olschewski zu begleiten, obwohl das körperlich eine Grenzerfahrung für sie war, insbesondere wegen der vielen Stufen.
Jetzt, wo die Chemie zwischen der Frau Kissner und dem Fickel endlich stimmte, brachte er die Sprache ganz unverfänglich auf den Landrat Kminikowski. Doch die Frau Kissner wollte von Orgien im Kollegenkreis oder vernaschten Mitarbeiterinnen nie etwas gehört haben und ließ auch sonst rein gar nichts auf ihren Chef kommen. Über den Tod seiner Frau hatte sie eine dezidierte Meinung: »Das hat der Mann nicht verdient, echt nicht!«
»Und die armen Kinder erst!«, fügte der Fickel nicht ohne Hintergedanken hinzu.
Die Frau Kissner sah ihn entgeistert an. »Kinder? Der Chef? Davon weiß ich nichts!«
»Ich meine, aus einer früheren Beziehung«, insistierte der Fickel. Und da war die Frau Kissner beruhigt, denn das musste definitiv vor ihrer Zeit gewesen sein. Seit sie auf diesem Stuhl saß, waren die Kminikowskis nämlich ein »absolutes Traumpaar« gewesen, also mindestens die letzten fünfzehn Jahre. »In jeder Hinsicht!«, fügte sie bedeutungsvoll hinzu, und der Fickel konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was genau sie damit meinte.
Als der Fickel kurz darauf das Büro von Frau Olschewski betrat, war ihm sofort klar, dass er es hier mit einem anderen Kaliber als der Kissner zu tun hatte. In diesem Raum herrschte nämlich ein bestimmtes protestantisches Arbeitsethos vor, eher preußisch als thüringisch, was den Fickel direkt ein bisschen einschüchterte. Kein einziges persönliches Detail, kein Foto von den Liebsten hatte hier zwischen den Akten Platz. Aber auch die Frau Olschewski selbst war das genaue Gegenteil von der Kissner: sehr dünn, mit spitzem Gesicht, randloser Designer-Brille und einer kurzen Strähnchenfrisur. Der Fickel dachte sofort »lesbisch«, aber das war natürlich nur ein machistisches Vorurteil.
Als er nach ein paar einleitenden Worten seinen »privaten« Betreuungsfall vortragen wollte, setzte ihn die Frau Olschewski zur Begrüßung gleich mal gründlich auf den Topf, dass es bei ihr keine »Extrawürste für Anwälte« gebe und die Sprechzeiten schließlich für alle Bürger gälten. »Und bestechen lasse ich mich schon gar nicht!«, erklärte sie streng mit Blick auf Fickels Pralinen, Sorte Bitter-Nuss.
»Bürger Fickel« sah dies natürlich sofort ein und wechselte schuldbewusst in den eher privaten Smalltalk-Modus über. Und guck mal einer an: Als er nun zu erkennen gab, dass er sich als Anwalt mit dem Betreuungsverfahren fachlich komplett überfordert fühle und dass er jeden bewundere, der so ein kompliziertes Verwaltungskonstrukt
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