Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
rätselhaften Verhalten der Gundelwein eine neue, besonders niederträchtige Führungsmethode vermuteten. Doch als die Stimmung der Oberstaatsanwältin sich nicht einmal trüben wollte, als ihr das Schreiben der Verteidigung zugestellt wurde, da waren auch die Letzten davon überzeugt, dass die Oberstaatsanwältin einen neuen Lover hatte.
Anstatt über den Antrag auf Haftprüfung in der Sache Schmidtkonz, den die Verteidigung nach so kurzer Zeit vorgelegt hatte, auszurasten und über die Unfähigkeit der Anwälte im Allgemeinen und ihres Exmannes im Speziellen zu schimpfen, wie es normalerweise ihrem Naturell entsprochen hätte, lächelte sie nur milde und tat ihrer Verwunderung darüber Ausdruck, dass der »Kollege Fickel« nicht mal das richtige Rechtsmittel kenne.
Denn statt gemäß Paragraf 304 S t PO die nächsthöhere Instanz anzurufen und Beschwerde gegen den Beschluss des Haftrichters einzureichen, um wenigstens eine rechtliche Überprüfung des Vorgangs durch das Landgericht zu erwirken, hatte die Verteidigung einen erneuten Haftprüfungstermin beantragt, der dann allerdings wieder vor der ersten Instanz stattfinden würde. Das war für die Oberstaatsanwältin sicher von Vorteil. Denn ohne Not, das hieß: ohne neue Erkenntnisse, änderte ein Gericht niemals seine Meinung. Da hätte die Oberstaatsanwältin ihren perfekt durchtrainierten Allerwertesten drauf verwettet.
Der Vorgang war für die Verteidigung mehr als peinlich. Zumal der Fickel sich nicht entblödete, unter anderem den Kriminalrat Recknagel und die Verlobte des Beschuldigten als Zeugen zu benennen! Auf so eine absurde Idee konnte auch nur ein juristisch total unbelecktes Gemüt wie ihr Exmann kommen. Schließlich lernten die Studenten heutzutage schon im zweiten Semester, dass bei der Haftprüfung nur nach Aktenlage entschieden wird. Ein förmliches Beweisverfahren, die richterliche Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, fand selbstverständlich erst im Hauptverfahren statt.
Trotzdem las sich die Gundelwein das in unbeholfenen, pseudojuristisch klingenden Sätzen aufs Papier gedrechselte Schreiben ihres Widersachers gründlich bis zum Ende durch. Es enthielt keinen einzigen Anhaltspunkt, warum das Gericht seine Meinung revidieren sollte. Die Oberstaatsanwältin musste nach der Lektüre unwillkürlich lachen. Dieser Termin war reine Zeitverschwendung, wenn man mal von der neuerlich zu erwartenden Blamage ihres Exmannes absah. Davon konnte sie allerdings nie genug bekommen.
Sie rief den Kriminalrat Recknagel an, informierte ihn über die Sachlage und instruierte ihn kurz. Damit war die Sache zunächst für sie erledigt. Dann setzte sie sich an ihren Rechner und chattete mit dem Oberarzt. Wenn jetzt jemand ein Geschmäckle dabei findet, dass die Gundelwein ihren dienstlichen Anschluss benutzte, um mit einem Oberarzt zu flirten, dann könnte derjenige ja gerne mal die Überstunden zusammenzählen, die die Oberstaatsanwältin am Wochenende angesammelt hatte! Zumal bei der Gundelwein niemand prophezeien kann, was bei ihr zur Arbeit und was zur Privatsphäre zählt.
Der Fickel hatte nach seiner Nachtschicht etwas länger geschlafen als sonst. Nachdem er fest gefrühstückt und das regionale Boulevardblatt studiert hatte, stieg er in seinen beigebraunen Wartburg 353 Tourist und machte sich auf den Weg nach Jerusalem. Zu diesem Zweck bog er, vom Justizzentrum kommend, zunächst rechts in die Bernhardstraße ein und folgte immer dem Verlauf der Leipziger Straße in Richtung nördlicher Stadtgrenze, bis kurz vor Welkershausen. Dort hielt er sich halbrechts auf der Abbiegerspur, und von da waren es höchstens noch achthundert Meter bis nach Jerusalem, dem sozialen Brennpunkt im Landkreis Schmalkalden-Meiningen.
Im Unterschied zum Original wird das Meininger Jerusalem jedoch von keiner einzigen Weltreligion und im Grunde auch von sonst niemandem beansprucht. Statt des Tempel- gibt es hier nur den 488 Meter hohen Kiliansberg, der gespickt ist mit einst stolzen, inzwischen vom Rückbau bedrohten Plattenbauten. Seinerzeit hatte im Viertel rund um den Kalininring der » VEB Kombinat Robotron« Mikroelektronik produziert, die im Sozialismus bekanntlich »nicht kleinzukriegen« war, bis der makroökonomische Kapitalismus sie ganz und gar obsolet machte.
In diesem Werk, das inzwischen mehr einer Ruine glich, hatte der Fickel im Unterrichtsfach »Produktive Arbeit« einst das Löten erlernt sowie im Übrigen, was eine Fuffzehn [ 35 ] war. Wie von
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