Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
beherrsche, da rannte er bei der Frau Olschewski plötzlich offene Türen ein. Ein wenig gebauchpinselt erklärte sie, ihr Misstrauen Anwälten gegenüber rühre daher, dass die meisten Kollegen so arrogant seien, insbesondere gegenüber der Verwaltung, und glaubten, alles besser zu wissen. Kein Wunder, dass sich der Fickel da positiv abhob, denn er weiß im Grunde nicht einmal, wie man »arrogant« buchstabiert.
Andererseits war er auch derart fantasielos, dass er bei Frauen, zumindest wenn er etwas von ihnen wollte, immer stur nach demselben Strickmuster vorging, egal ob Beamtin, Vermieterin oder jüngst auch katholische Pflegerin. Und was bei der einen nicht zog, das verfing dann eben bei der anderen. Nur bei der Partnervermittlung im Internet hatte er sich abgemeldet, denn so viel, wie da gelogen wurde, das war selbst ihm zu viel.
Ehe es sich der Fickel versah, plauderte die Frau Olschewski aus dem Nähkästchen, wieviel Stress man ständig mit den Angehörigen und den Betreuern habe. »Allesamt beratungsresistent!« Und dass man sich jetzt vonseiten der Justiz schon wieder auf neue Gesichter einstellen müsse nach dem »Ausscheiden« der Kminikowski, erleichtere die Arbeit auch nicht gerade. Schließlich brauche es erfahrungsgemäß immer ein bisschen Zeit, bis sich ein Richter – oder eine Richterin – auf dieses komplizierte Rechtsgebiet mit all seinen Dunkel-Normen eingestellt habe. So wie jüngst geschehen bei der seligen Kminikowski: »Die wollte das Oberste zuunterst kehren, obwohl das schon seit Jahrzehnten erfolgreich so gehandhabt wurde.« Bei ihrer Vorgängerin, der scheidenden Amtsgerichtsdirektorin Driesel, hingegen, da sei die Welt noch in Ordnung gewesen. Bei der Zusammenarbeit zwischen Gericht und Behörde habe ein Rad ins andere gegriffen, getreu dem Motto: Man kennt sich, man schätzt sich.
Als der Fickel jetzt zu erkennen gab, dass die Kollegin Driesel und er ganz alte Kollegen, also gewissermaßen befreundet waren, da war die Olschewski mit einem Mal ganz gerührt und bat, die scheidende Amtsgerichtsdirektorin bitte »ganz lieb zu grüßen« und ihr auszurichten, dass sie »alle hier sehr vermissen« würden. Der Fickel wunderte sich, wie sehr er die Driesel offenbar unterschätzt hatte. Zumindest im Betreuungsrecht war sie anscheinend eine echte Koryphäe!
Jedenfalls hatte die Olschewski inzwischen ihr protestantisches Arbeitsethos längst vergessen, genau wie ihr ehernes Prinzip, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich seien, insbesondere die Anwälte, und hörte konzentriert zu, als der Fickel seinen fiktiven Fall schilderte.
»Das Wichtigste ist, dass Ihre Mandantin mit der Betreuung einverstanden ist«, erläuterte die Olschewski und blätterte in einem Gesetzbuch: »Denn wie in Paragraf 1896 Absatz zwo BGB geregelt ist, darf grundsätzlich gegen den Willen eines Volljährigen kein Betreuer bestellt werden. – Können Sie mir folgen?« Der Fickel nickte, während er auf Durchzug schaltete. Das war nämlich ein natürlicher Reflex bei ihm, wenn in seiner Anwesenheit Gesetze zitiert wurden.
Aber die Olschewski setzte ihren Vortrag unbeeindruckt fort, ob ihr jetzt jemand zuhörte oder nicht: »Gemäß Paragraf 1896 Absatz I BGB bestellt das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag einen Betreuer, wenn jemand aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen Behinderung nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen …«
»Was passiert eigentlich, wenn sich im familiären Umfeld der Person niemand findet, der den Job übernehmen will?«, erkundigte sich der Fickel.
Die Frau Olschewski lächelte entspannt. »Haben Sie schon mal von unserem Verein ›Nachbarn in Meiningen‹ gehört?«
Der Fickel tat, als müsse er erst nachdenken, bevor er bejahte.
»Wenn Sie nicht weiterwissen, wenden Sie sich dort an den Herrn Exner. Der ist sehr kompetent und vermittelt Ihnen bestimmt gerne jemanden.«
Der Fickel hatte Mühe, ernst zu bleiben. Wenn er ein Wort nicht mit seinem ehemaligen Staatsbürgerkundelehrer zusammenbrachte, dann »Kompetenz«.
»Es gibt sogar theoretisch die Möglichkeit, dass der Verein als Betreuer eingesetzt wird«, ergänzte die Olschewski. »Oder die Behörde, falls Ihrer Mandantin das lieber ist …«
Der Fickel war durch den René ja fachlich schon bestens informiert. Trotzdem erkundigte er sich lieber noch mal, was so ein Betreuer eigentlich genau zu tun hatte. Die Olschewski schien von seinem Wissensdurst geradezu begeistert zu sein
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