Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
immer bei sich, allerdings nicht am Finger, sondern rechts in der oberen Zahnreihe, wo ihm sein Zahnarzt kurz nach der Scheidung eine wunderschöne Krone mit achtzehn Karat eingesetzt hatte.
Manchmal genügte so eine kleine Ungereimtheit, dass der Fickel sich seine Gedanken machte. Grundsätzlich hatte natürlich niemand was dagegen, wenn es einer besonders schlau getroffen hatte. Immerhin hätte im Grunde jeder drauf kommen können, sich in der Pflege- und Betreuungsbranche selbstständig zu machen, sogar der Fickel, wenn er nur ein bisschen ausgeschlafener gewesen wäre. Schließlich ist Seniorenbetreuung bei der aktuellen Demoskopie der Wachstumsmarkt schlechthin. Zum Beispiel musste man sich nur mal in Meiningen in der Fußgängerzone umsehen: dreißig Prozent Pflegefälle in den nächsten fünf Jahren, mindestens!
Jedenfalls: Wenn man den Exner als Lehrer erlebt hatte, gehörte nicht viel Fantasie dazu, ihn sich als Mörder vorzustellen. Aber als der Fickel mal diskret einen Blick unter den Tisch warf, war sofort klar: Der Exner war nicht nur finanziell auf großem Fuß unterwegs, sondern auch in körperlicher Hinsicht. Größe fünfundvierzig mindestens. Und dann auch noch Lackschuhe mit Bömmelchen!
Der Fickel hatte seine Bratwurst inzwischen fast vertilgt. Der Exner war mit seinem Zupfkuchen auch durch und wollte jetzt Nägel mit Köpfen machen. Die Thüringer-WaldResidenz habe gerade noch ein paar Plätze frei, quasi ab sofort. Für Unentschlossene gebe es dort sogar »Schnupperwochen«, in denen man mal probewohnen dürfe, ohne sich gleich für seinen kompletten Lebensabend festzulegen. Jetzt musste der Fickel nicht zweimal überlegen und schlug im Namen seiner Vermieterin ein. Absagen konnte er später schließlich immer noch.
Kaum war das Geschäftliche geklärt, hatte es der Exner plötzlich ziemlich eilig. Aber als der Fickel seine Rechnung begleichen wollte, meinte er: »Ich übernehme das schnell!« Da ließ der Fickel sich natürlich nicht zweimal bitten. Das passierte schließlich selten genug, dass man von einem alten Staatsbürgerkundelehrer freigehalten wurde. Trotzdem fühlte sich der Fickel bemüßigt, sich nach dessen Handschlag erst mal gründlich die Hände zu waschen.
Derweil stand die Oberstaatsanwältin in einem Hotelzimmer vor dem Spiegel und betrachtete selbstkritisch ihr Erscheinungsbild. Die Frisur war okay, das Make-up perfekt, und das Kostüm, das sie sich letzten Herbst in München gekauft hatte, betonte ihre sportliche Figur. Auch wenn der vermeintliche Oberarzt keine lauteren Absichten gehegt hatte, waren der Oberstaatsanwältin seine wohlgefälligen Blicke durchaus nicht entgangen.
Die Tagesordnung des Schmalkalden-Meiningen-Klubs, die an der Rezeption ausgelegen hatte, sah für vierzehn Uhr »Begrüßung und Einteilung der Arbeitsgruppen« vor. Mit einer undefinierten Erwartung begab sich die Oberstaatsanwältin in den Tagungsraum. Der Landrat hatte einen dunklen, aber legeren Anzug an, der seine Trauer nur demjenigen ausdrückte, der sie auch erwartete. Er hieß die Teilnehmer einzeln per Handschlag willkommen.
»Schön, dass Sie Zeit gefunden haben!«, erklärte er, als er der Gundelwein die Hand reichte. Nichts an ihm verriet, ob er sich über das Erscheinen der Oberstaatsanwältin freute oder nicht.
Einen Teil der Anwesenden kannte die Gundelwein vom Sehen: den Sozialgerichtspräsidenten Bremer zum Beispiel, ein paar Kollegen vom Landgericht sowie einige Vertreter des höheren Verwaltungsdienstes. Doktor Ehrmanntraut, der einzige Starverteidiger des Gerichtsbezirks, nickte ihr immerhin respektvoll zu, aber dann drehte er ab und suchte sich eilig einen anderen Gesprächspartner. Wie die Gundelwein befremdet feststellte, lag die Frauenquote bei höchstens zehn Prozent, wenn man von den Hostessen in den kurzen Uniformen absah.
Im Raum herrschte ein geschäftiges Gemurmel; die Gundelwein hatte als Einzige niemanden, mit dem sie sich unterhalten konnte. Zum Glück kam bald eine Hostess vorbei, und die Oberstaatsanwältin angelte sich ein Tonic vom Tablett. Zu spät bemerkte sie, dass ziemlich viel Gin in den Drink gemischt war. Humorlos kippte sie den Inhalt des Glases in den Topf einer Zimmerpalme. Für derartige Exzesse war es eindeutig noch zu früh.
Wenige Minuten später ergriff der Landrat das Wort und dankte für »das zahlreiche Erscheinen« und die ihm erwiesene Anteilnahme nach dem schlimmen Schicksalsschlag. Warmer Applaus setzte ein, und der Landrat senkte
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