Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
natürlich nicht besonders gut wegkam. Von sich erzählte sie einstweilen nichts. Der Oberarzt fasste sich ein Herz und fragte, ob sie »bei dem herrlichen Wetter« nicht noch einen kleinen Spaziergang unternehmen wollten.
»Müssten Sie nicht wieder zu Ihren Patienten?«, erkundigte sich die Gundelwein in Flirtlaune. Natürlich wusste sie, dass Doktor Welsch seine Matchingpunkte »veredeln« wollte: erst durch die Natur, dann ins Gebüsch und dann …
»Ich habe heute keine Sprechstunde«, erklärte der Oberarzt. »Es sei denn, Sie wollen mir mal Ihren Rücken zeigen.« Er lächelte einladend. »Wegen der Verspannungen!«
»Das würde ich gerne tun, David«, meinte die Oberstaatsanwältin, plötzlich mit eisigem Lächeln. »Ich meine natürlich: Claus – mit C, nicht wahr?«
Dem anderen entgleisten die Gesichtszüge. Wenn die Oberstaatsanwältin noch Zweifel gehabt hätte, dann wären die spätestens jetzt obsolet gewesen. Mit sicherem Instinkt hatte sie in dem angeblichen Oberarzt einen jener Betrüger erkannt, die sich die Anonymität des Internets zunutze machten, um sich das Vertrauen der Frauen zu erschleichen und sie hinterher mit selbst gedrehten schmutzigen Handyfilmchen zu erpressen. Natürlich war er weder Oberarzt, noch arbeitete er in der Klinik in Eisenach. Zwei Anrufe hatten genügt, um seine Legende zu pulverisieren. Schon seit einer Ewigkeit hatte die Oberstaatsanwältin einen »Falschen Romeo« wie ihn in flagranti erwischen wollen und sich zu diesem Zweck nach und nach diverse Suchprofile angelegt in der Hoffnung, dass ihr ein Täter ins Netz ging. Die Gundelwein hatte Dr. Claus Welsch alias David Kruska mithilfe seiner Standardformulierung identifiziert: »Stolperstein oder Goldstück?« Offenbar gab es viele Frauen, die sich von diesem harmlosen Wortspiel herausgefordert fühlten. Später schämten sie sich und zahlten lieber hohe Beträge an den Betrüger, als Anzeige zu erstatten.
»Ich heiße übrigens auch nicht Carmen«, erklärte die Gundelwein mit maliziösem Lächeln.
»Nicht?«, fragte der Andere verdattert. »Wie denn dann?«
»Nennen Sie mich einfach Oberstaatsanwältin Gundelwein«, erklärte sie in freundlichstem Tonfall. »Ich muss Ihnen wirklich danken, dass Sie sich extra in den Landkreis Schmalkalden-Meiningen bemüht haben, um sich in meinem Zuständigkeitsbereich der Justiz zu stellen.«
Es dauerte ungefähr drei Sekunden, bis der Gehalt der Nachricht bei dem Serientäter durchgesickert war. In der vierten war der Mann mit erstaunlicher Behändigkeit aufgesprungen.
»Zu früh gefreut … Rieseneichhörnchen!«, rief er wütend. Vom charmanten Oberarzt war nicht viel übrig geblieben. Mit einem kräftigen Ruck kippte er den Tisch um, dass das Porzellan auf dem Boden zerschellte, und rannte los, als wäre eine Horde wilder Amazonen hinter ihm her. Die Oberstaatsanwältin blieb seelenruhig sitzen, winkte den verdatterten Kellner herbei, zahlte ihren Rotbuschtee, informierte ihn über die Identität des Täters wegen möglicher Schadensersatzansprüche und ging gemächlich Richtung Ausgang. Vor dem Gasthof beobachtete sie, wie der Betrüger von Recknagel und seinen zwei Assistenten abgeführt wurde, wobei er die Oberstaatsanwältin mit wüsten Beschimpfungen bedachte, die sie sich für eine kleine Zusatzanklage nach Paragraf 185 S t GB [ 37 ] vormerkte.
Sie scherte sich nicht weiter um den Primitivling, sondern wies den Kriminalrat in dienstlichem Ton an, alles Nötige zu veranlassen. Nachdem sie ihren Job zur eigenen Zufriedenheit erledigt hatte, wurde es Zeit, sich endlich um die Karriere zu kümmern. Beflügelten Schrittes stieg sie die Stufen zum Parkplatz hinunter, setzte sich in ihren kleinen roten Flitzer, stellte auf ihrem Navi »Hotel Rennsteigblick« ein und brauste davon.
Zum selben Zeitpunkt stand der Fickel direkt vor dem »Henneberger Haus« in der Georgstraße und wartete auf seinen ehemaligen Staatsbürgerkundelehrer. Und alles, was recht ist, für einen Altkommunisten und ehemaligen Gewerkschaftsfunktionär fuhr der Exner ein ziemlich kapitalistisches Auto. Der royalgrüne Jaguar mit den symmetrisch angeordneten Auspuffrohren passte kaum in die riesige Parklücke vor dem Restaurant, trotz Einparkhilfe. Als der Fahrer aus dem Wagen stieg, musste der Fickel tatsächlich zweimal hingucken, denn der Exner sah auch im echten Leben noch lange nicht wie ein angehender Mittsechziger aus, sondern eher wie ein gut erhaltener Endfünfziger, also direkt
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