Herrentag: Anwalt Fickels erster Fall (German Edition)
Schlages nur halb so viel Engagement für den Aufbau des Sozialismus aufgebracht hätten wie später im Kapitalismus dafür, mit dem Arsch an die Wand zu kommen, dann würden die Schüler heute noch in Dreierreihen beim Fahnenappell stehen und die Internationale singen.
Während der Fickel sich über seine Bratwurst hermachte, erkundigte sich der Exner, wie sich denn die Frau Schmidtkonz ihren Lebensabend so vorstelle: ob zu Hause mit ambulantem Service, in einer Senioren- WG , im betreuten Wohnen oder in einem Pflegeheim – »da gebe es heute schließlich eine ganze Palette von Möglichkeiten«, je nach Geldbeutel natürlich. Der Fickel kapierte natürlich sofort, worauf der Ex-Kommunist hinauswollte, und machte eine Andeutung, dass die Frau Schmidtkonz als Immobilienbesitzerin ganz hübsch was in der Hinterhand habe. Da lachte der Exner gemütlich und meinte: »Ja, ja! Die Alten halten ihre Groschen zusammen, net wahr?«
Aber dann wurde er gleich wieder sachlich und eröffnete dem Fickel, dass er für dessen Vermieterin einen echten Geheimtipp habe: Das Objekt liege zwar ein wenig außerhalb, aber dafür landschaftlich sehr reizvoll. »Eine echte Perle!« Die Rede war hier natürlich von der Thüringer-Wald-Residenz, die der Fickel aus eigener Anschauung allerdings ganz anders in Erinnerung hatte. Es gebe dort Angebote in jeder Preiskategorie, erklärte der Exner eifrig. Im Grundtarif bedeute das eine Zuzahlung von nur achthundert Euro – im Monat, versteht sich! »Aber wenn Sie wollen, können Sie in dem Schuppen auch wie in einem Fünf-Sterne-Hotel leben!«
Der Fickel stand mal wieder auf dem Schlauch: »Ich?«
Der Exner lachte brüllend los. »Das war doch nur so eine Redewendung! Was soll ein junger Mann wie Sie denn unter den Senioren? Da würde Ihnen aber schnell langweilig.«
Ob es denn in dem Heim überhaupt keine jungen Leute gebe, erkundigte sich der Fickel. Dabei dachte er natürlich insgeheim an den Buckligen, der von den kräftigen Pflegern mit dem Panzer-Renault vom Friedhof abgeholt worden war. Aber der Exner ließ sich nicht in die Karten gucken. »Jung oder alt, das ist doch relativ. Wie heißt es so schön: Siebzig sind die neuen Fünfzig!« Er lachte fröhlich. »Und dann haben wir da ja noch die Schwestern. Alles junge Frauen aus der Region.«
Der Fickel staunte nicht schlecht, dass sein ehemaliger Staatsbürgerkundelehrer die ehemalige Volksrepublik Polen neuerdings zur Region Südwestthüringen zählte. Mal abgesehen davon, dass er die ganze Zeit ungeniert in der »Wir«-Form sprach, obwohl er – wie der Fickel inzwischen gelernt hatte – mit der Pflegeeinrichtung als Betreuer rein rechtlich gar nichts zu tun haben durfte.
Wenn man den Exner so reden hörte, dann war die Thüringer-Wald-Residenz im Prinzip so etwas wie das Paradies auf Erden für die »alten Leutchen«: komfortable Einzelzimmer, täglich wechselnde Gruppenaktivitäten, Schwimmbad, Sportanimation, Shuttle-Service in die umliegenden Orte, dazu eine hauseigene Ärztin, die sich exklusiv nur um die Wehwehchen der Insassen kümmerte, zusätzlich Physiotherapie, Akkupunkturbehandlungen und, und, und … Da wäre manch einer lieber heute als morgen vergreist und vertattert, nur um in den Genuss derartiger Annehmlichkeiten zu kommen.
»Und das Kulturprogramm erst!«, schwärmte der Exner weiter. Die letzte Weihnachtsfeier habe sogar der Florian Silbereisen moderiert – der aus dem Fernsehen! »Die Senioren sind ja ganz verrückt nach dem, net wahr?« Da schoss dem Fickel blitzartig das Bild von der verschlossenen Tür im Treppenhaus durchs Hirn. Nicht, dass am Ende ein Volksmusikstar im dritten Stock gefangen gehalten wurde!
Der Fickel staunte jedenfalls nicht schlecht, was für eine ausgeklügelte Verwertungskette sich sein ehemaliger Lehrer mit den Betreuungsfällen ausgetüftelt hatte: So ein gemeinnütziger Verein war ja faktisch ein Selbstbedienungsladen, dazu die Nebeneinkünfte als Privatbetreuer – da musste er sicher nicht am Hungertuch nagen. Es war zweifellos ein cleverer Zug vom Exner gewesen, seine Exfrau als Leiterin der Thüringer-Wald-Residenz zu installieren, wodurch er horrende Unterhaltszahlungen sparte. So ein Jaguar will ja auch erst mal finanziert sein. Bloß merkwürdig, dass der Exner immer noch seinen Ehering am Finger hatte. Vermutlich war er der einzige Geschiedene östlich der Rhön, der nach seiner Scheidung aus purer Nostalgie seinen Ehering weiter trug. Der Fickel hatte seinen zwar auch
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