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Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Joseph
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in den Sessel fallen. Der Affenmord beherrschte die Titelblätter der lokalen Medien. Ihre Assistentin hatte mit einem Textmarker Artikel dick umrandet, wichtige Passagen unterstrichen, Ausrufezeichen und traurige Smileys an den Rand gemalt. Die Seiten sahen aus, als hätte sich eine Horde Vorschulkinder daran ausgelassen.
    »Außerdem habe ich mich mit diesem Journalisten getroffen. Gregor Simon. Er wird keine unbedachten Dinge veröffentlichen«, sagte Jeanette.
    »Was denn für unbedachte Dinge?«, fragte Evelyn und fixierte ihr Gegenüber misstrauisch. Die junge Frau blickte mit einem strahlenden Lächeln zurück. Evelyn sah wieder auf die Zeitungsartikel und schüttelte den Kopf. Für Jeanette schienen die furchtbaren Ereignisse der vergangenen anderthalb Tage schon wieder mindestens eine Haartönung entfernt.
    Da merkte Evelyn, wie das Telefon in ihrer Kostümtasche summte. Sie blickte unauffällig auf das Display. Unterdrückte Rufnummer.
    »Herrgott noch mal«, seufzte sie. »Ich gehe erst einmal eine Runde. Ich brauche frische Luft.«
    Auf dem Flur riss sie das Mobiltelefon ans Ohr. Am anderen Ende eine tiefe und offensichtlich verstellte Stimme.
    »Glauben Sie mir jetzt? Ich erwarte Sie morgen um 18 Uhr am Knochenberg. Kommen Sie mit dem Wagen, Sie erhalten dann weitere Instruktionen.«
    »Wer sind Sie?«
    »Das möchten Sie gar nicht wissen. Kommen Sie morgen Abend nicht, dann mache ich weiter. Und Sie können sich von Ihrem sauberen Zoo verabschieden. Ende.«
    Evelyn Hammer stand der Schweiß auf der Stirn. Sie steckte ihr Telefon wieder ein. Jetzt brauchte sie wirklich frische Luft.

Musketen und Kakteen

    Kakteen standen auf nahezu jedem Fensterbrett des großen Backsteinbaus. Diese freudlosen Gewächse in ihren Plastikübertöpfen schafften es in fast jede öffentliche Einrichtung, wohl wegen ihrer enormen Widerstandsfähigkeit – oder weil sie erst nach Jahren blühten. Gregor stellte sich vor, welch eine Furore das unter den Mitarbeitern der Universität jedes Mal machte, wenn es denn tatsächlich mal eine Blüte durch die fleischigen festen Blätter geschafft hatte. Dann ruhten die Amtsgeschäfte für eine Weile, da die Abteilung ihren hübschen Sonderling bestaunte. Er lief durch die Flure der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in der Ulmenstraße, und obgleich hier alles modern schien, fühlte sich Gregor in seine Schulzeit zurückversetzt. Jeder Raum hatte eine Nummer. Feuerlöscher und Fluchtpläne hingen auf jeder Etage an zentralen Punkten. Und während seine Schritte auf dem leeren Gang widerhallten, vermisste er lediglich die Kleiderhaken mit den Jacken, die heruntergefallenen Mützen und Schals, um sich wie ein aufgeregter Junge zu fühlen, der zu spät zum Unterricht kommt.
    Nach seiner morgendlichen Begegnung mit Jeanette, die Gregor in einen noch immer andauernden Zustand stetigen Flimmerns versetzt hatte, war er zur Redaktionssitzung gegangen. Seine Recherchearbeit würde er nun auf die jüngere Geschichte des Zoos konzentrieren, in der es in irgendeiner Weise um Geld ging. Sein Verdacht, die Tiermafia könnte etwas mit dem Affenmord zu tun haben, war von seinem Redaktionsleiter nur mit einem müden Augenaufschlag und dem Hinweis beantwortet worden, dass es wohl kein Zufall wäre, wenn ausgerechnet ein Affe erschlagen wird, während der Erweiterungsbau des  Darwineums  unmittelbar bevorsteht. Auch wenn sich der Begriff  Mafia  wunderbar auf der Titelseite der  RAZ  machte, passte er nicht gut in die Geschichte. Leider musste er in diesem Punkt seinem Chef Recht geben. Und deshalb hatte er für den Nachmittag einen Termin mit Professor Kramer vereinbart, einem Fürsprecher des Bauvorhabens, der damals als Unterhändler einen Kompromiss mit dessen Gegnern ausgehandelt hatte. Beim Durchblättern des Archivs war Gregor fast in jedem Beitrag auf Kramer gestoßen. Auf vielen Bildern sah man den streng gescheitelten Akademiker Hände schüttelnd oder die Stirn beim Beantworten einer Interviewfrage gewichtig in Falten legend.
    Der etwa drei mal drei Meter große Wegweiser im Eingangsbereich der Fakultät zeigte, dass sich das  Institute of General Management and Marketing  in der zweiten Etage und dessen Direktor Prof. Dr. Dr. Jan-Hendrik Kramer im Raum 213 befanden. Gregor wunderte sich, dass es kein  room  war. Das Universitätsleben war ihm sehr vertraut. Während des Studiums hatte er als studentische Hilfskraft in der Bibliothek und in diversen Fachbereichen

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